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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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Alten Herrn und meinen Jungen!« Als Sam durch das Wohnzimmer und in den Flur trottet, wendet sie sich wieder an uns. »Gebt mir doch mal das Baby! Ach, zeigt her! Zeigt her! Ich bin deine yen-yen «, trällert sie Joy vor. Yen-yen ist die Koseform
für Großmutter im Sze-Yup-Dialekt. May und mir teilt sie mit: »Ihr könnt mich auch Yen-yen nennen.«
    Unsere Schwiegermutter ist älter, als ich erwartet hatte, wenn man bedenkt, dass Vernon erst vierzehn ist. Sie sieht aus, als wäre sie Ende fünfzig - uralt im Vergleich zu Mama, die mit achtunddreißig gestorben ist.
    »Mir steht es zu, das Kind zuerst anzuschauen«, ist plötzlich eine strenge Stimme auf Sze Yup zu vernehmen. »Gebt mal her!«
    Der Alte Herr Louie, gekleidet in eine lange Mandarinrobe, kommt zusammen mit Vern herein, der nicht viel gewachsen ist, seit wir ihn zuletzt gesehen haben. May und ich machen uns wieder darauf gefasst, beantworten zu müssen, wo wir waren und weshalb wir so lange gebraucht haben, um hierherzukommen, aber der Alte Herr zeigt nicht das geringste Interesse an uns. Ich reiche ihm Joy. Er legt sie auf den Tisch und entkleidet sie unsanft. Sie fängt an zu weinen - erschrocken über seine knochigen Finger, das Geschrei ihrer Großmutter, den harten Tisch unter ihr und weil sie plötzlich nackt ist.
    Als der Alte Herr Louie sieht, dass Joy ein Mädchen ist, zieht er die Hände zurück. Er macht ein angewidertes Gesicht. »Ihr habt nicht geschrieben, dass es ein Mädchen ist. Das hättet ihr besser getan. Dann hätten wir kein Festmahl vorbereitet.«
    »Aber natürlich braucht sie eine Einmonatsfeier«, zwitschert meine Schwiegermutter. »Jedes Baby - sogar ein Mädchen - braucht eine Einmonatsfeier. Jetzt können wir sowieso nicht mehr zurück. Alle werden kommen.«
    »Ist denn schon etwas geplant?«, fragt May.
    »Jetzt gleich!«, verkündet Yen-yen. »Ihr habt für den Weg vom Hafen länger gebraucht, als wir dachten. Im Restaurant warten schon die Gäste.«
    »Jetzt gleich?«, wiederholt May.
    »Jetzt gleich!«
    »Sollen wir uns nicht erst umziehen?«, fragt May.
    Der Alte Herr Louie schaut finster drein. »Dafür ist keine Zeit.
Ihr braucht nichts weiter. Hier seid ihr nichts Besonderes. Ihr müsst euch nicht verkaufen.«
    Wäre ich mutiger, würde ich ihn fragen, weshalb er so unhöflich und gemein zu uns ist, aber wir sind noch nicht einmal zehn Minuten bei ihm zu Hause.
    »Sie braucht einen Namen.« Der Alte Herr Louie nickt in Richtung des Babys.
    »Sie heißt Joy«, sage ich.
    Er schnaubt. »Das ist nicht gut. Chao-di oder Pan-di ist besser.«
    Zornesröte steigt mir ins Gesicht. Genau davor haben uns die Frauen auf Angel Island gewarnt. Sam legt mir die Hand in den Rücken, aber seine tröstende Geste ruft nur eine Gänsehaut bei mir hervor, und ich entziehe mich ihm.
    May spürt, dass etwas nicht stimmt, und fragt in unserem Wu-Dialekt: »Was sagt er?«
    »Er möchte Joy einen neuen Namen geben. Sie soll Bitte-umeinen-Bruder oder Hoffe-auf-einen-Bruder heißen.«
    Mays Augen werden schmal.
    »Keine Geheimsprache in meinem Haus«, herrscht uns der Alte Herr Louie an. »Ich muss alles verstehen, was ihr sagt.«
    »May kann kein Sze Yup«, erkläre ich ihm, doch in meinem Kopf dreht sich alles wegen des neuen Namens, den er Joy geben will. Ihr Geschrei durchbricht immer noch das missbilligende Schweigen im Raum.
    »Nur Sze Yup.« Zur Bekräftigung klopft er ein paarmal auf den Tisch. »Wenn ich euch zwei eine andere Sprache sprechen höre - und sei es Englisch -, dann werft ihr fünf Cent für mich in eine Dose. Klar?«
    Der Alte Herr Louie ist kein sonderlich großer oder imposanter Mann, aber er hat sich herausfordernd vor uns aufgebaut. Doch May und ich sind neu hier, Yen-yen hat sich in die Ecke zurückgezogen und wäre offenbar am liebsten unsichtbar, Sam hat kaum ein Wort gesagt, seit er uns vom Schiff abgeholt hat,
und Vernon steht bloß daneben und verlagert nervös das Gewicht von einem Fuß auf den anderen.
    »Zieh Pan-di an«, befiehlt der Alte Herr Louie. »Dann kämmt euch beide die Haare. Und ich will, dass ihr die hier tragt.« Er greift in eine der tiefen Taschen seiner Mandarinrobe und bringt vier goldene Hochzeitsarmreife zum Vorschein.
    Er packt meine Hand und streift mir einen sieben Zentimeter breiten Armreif aus reinem Gold über das Handgelenk. Das Gleiche macht er am anderen Handgelenk und schiebt dabei den Jadereif meiner Mutter grob nach oben, damit er ihm nicht im Weg ist. Während er auch May

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