Toechter der Dunkelheit
nicht warnen. Hätte ich das getan, wäre der gesamte Verlauf der Zukunft in Gefahr geraten.“
Chyvile knurrte nur verächtlich. Sie wusste, dass Maondny Recht hatte, trotzdem war sie wütend darüber, wie knapp sie und Jordre dem Tod entkommen waren.
„Es ist gefährlich, sich in das Schicksal einzumischen.“
„Es wäre schön gewesen, du hättest dich vorher an diese Weisheit gehalten, dann müsste ich jetzt nicht mit einem halben Kind durch die Lande ziehen, sondern könnte stattdessen einen ausgebildeten Kämpfer seinem Schicksal zuführen!“, grollte Chyvile. Sie bereitete aus getrockneten Pflanzen und Beeren einen Tee zu, der Jordre Kraft und Ausdauer schenken würde. Eine Weile herrschte drückendes Schweigen zwischen den beiden Frauen. Letztendlich war es Chyvile, die aufgab, ohne allerdings ihre von Wut erfüllten Gedanken zu mildern: „Sag mir, Mandy : Lebt Pera noch? Oder ist es zu gefährlich , mir solches Wissen zukommen zu lassen?“
„Mein Name ist P’Maondny!“ Die Elfe schwieg danach, bis Chyvile schon das Schlimmste fürchtete, doch dann sprach die Traumseherin weiter, wenn auch zögerlich: „Pera lebt. Du hast allerdings Recht mit deiner Angst. Du musst dich sehr beeilen. Ich will dir außerdem einen Rat geben.“ Wieder zögerte Maondny, bis Chyvile sich fast vor Ungeduld das Gesicht blutig kratzen wollte, nur um sich selbst daran zu hindern, laut zu schreien.
„Du musst die Südroute nach Navill nehmen. Dadurch verlierst du zwar kostbare Zeit, doch wenn du den direkten Weg nimmst, ist die Wahrscheinlichkeit zu groß, dass du Osmeges Häschern in die Arme läufst und Jordre verlierst. Der dunkle Orn fürchtet, was er gesehen hat. Er fürchtet, du könntest den Gefährten der Tänzerin nach Navill führen.“
„Er weiß also, dass Pera lebt? Dass die Gefährtin sich in diesem Dorf befindet?“
„Ja, er weiß es. Gib auf dich Acht, Chyvile. Wenn du im Zweifel bist, höre auf die Stimme deines Herzens, nicht auf das, was dein Verstand dir einflüstert.“
Chyvile spürte, wie die Elfe sich von ihr abwandte und erschauderte. Wenn Maondny solch weitreichende Ratschläge gab, musste es wirklich ernst sein.
Diesmal gilt es. Nach all den Jahren hat es begonnen. Verflucht seiest du, Taón, für das, was du mit deinem Kind gemacht hast, doch es hat die Entscheidung gebracht. Wir werden siegen oder endgültig vernichtet werden. Diesmal gibt es keinen Aufschub mehr.
Hin- und hergerissen zwischen Entschlossenheit, Begeisterung und großer Sorge beugte sie sich über Jordre, der bewusstlos in ihren Armen lag. Sein Gesicht war eisgrau, und dass er aufgehört hatte, vor Kälte zu zittern, bedeutete nichts Gutes. Behutsam flößte sie ihm den Trank ein, wissend, dass sie ihn damit leicht umbringen konnte. Die Kraft, die dieses Mittel schenkte, nährte sich von den letzten Reserven desjenigen, der es trank. Jordre würde mit Hilfe des Tranks laufen und kämpfen können, bis er tot umfiel.
Hoffentlich schaffen wir es! Aber wenn es sein muss, werde ich ihn nach Navill tragen, und wenn er zehnmal so groß wäre wie ich! Diesmal gilt es …
23.
„Willst du Demut und Weisheit finden, gehe zu den Kindern. Sie sprechen die Wahrheit über Dinge, die du niemals wieder sehen wirst.“
Pjere von Kalis, Priester des Ti
Inani saß über ihrer Wachstafel und kratzte bemüht nagaurische Verbformen hinein, doch ihr Kopf war nicht bei der Sache. Sie hasste es, in diesem Steinhaus herumzuhocken während draußen strahlender Sonnenschein lockte, und eine Sprache zu lernen, die sie niemals in ihrem Leben sprechen würde, da sie vor tausenden Jahren mit dem Untergang des Nagaurischen Großreichs verschwunden war. Eigentlich liebte sie es, fremde Sprachen zu erlernen, aber konnte man diese Lektionen nicht auf den Winter beschränken? Wie
herrlich wäre es, wenn sie jetzt mit ihrer Leopardenschwester durch die Wälder jagen könnte, oder mit der Kyphra still auf einem Felsen liegen und Wärme in ihren Körper versickern lassen!
Als sich eine Hand auf ihre Schulter legte, zuckte Inani schuldbewusst zusammen. Sie erwartete für ihre Nachlässigkeit ausgeschimpft zu werden, doch Alanée, die heute die Sprachstunde führte, blickte ernst auf sie herab.
„Kythara hat nach dir geschickt. Lass deine Tafel ruhig liegen, ich bringe sie nachher für dich nach Hause.“
Verwirrt suchte Inani nach einem Hinweis in Alanées Gesicht, was sie erwarten würde, aber die winkte nur ungeduldig. Inani spürte,
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