Toechter der Dunkelheit
blickten sie aus einem ebenso schwarzen Gesicht an. Dann bemerkte sie unförmige Ausbuchtungen über den Schultern dieser menschenähnlichen Kreatur, kaum verborgen von einem Ledermantel, und sie verstand: Ein Loy stand vor ihr. Offenbar spiegelte sich die Erkenntnis in ihrem Gesicht, denn der Loy nickte ihr nun ernst zu und wich ein Stück zurück. Als er sich aufrichtete, konnte Inani die Silhouette seiner Flügel deutlich erkennen.
„Seid vorsichtig, dunkle Töchter der Pya. Nicht alles, was sich im Schatten verbirgt, ist euch wohl gesonnen. Als Jägerinnen wisst ihr, dass auch Raubtiere zur Beute werden können“, sagte er leise. Inani war fasziniert von seiner tiefen, melodischen Stimme, seiner nachtdunklen Haut, einfach alles an ihm. Sie hatte schon viel von den Loy gehört, aber noch niemals einen gesehen. Doch sie wusste es besser, als ihn anzustarren oder gar die Hand nach ihm auszustrecken. Die Loy genossen ihren Ruf als gefährliche Kreaturen gewiss nicht umsonst. Ein solches Wesen in Roen Orm zu finden war mehr als überraschend.
„Sei gegrüßt, Krieger der Lüfte“, sagte Kythara höflich und neigte den Kopf. Inani spürte an ihrer Anspannung, dass sie kampfbereit war.
„Mein Name ist Niyam, auch ich grüße euch. Ich werde nicht fragen, was euch nach Roen Orm führt, und ich werde nichts darüber erzählen, was mich hierher brachte. Doch ihr braucht mich nicht zu fürchten. Euch anzugreifen würde meinen Absichten nur schaden.“ Er betrachtete sie beide, und diesmal sprach Neugier aus seinem Blick. „Ich weiß nicht viel über Menschen eurer besonderen Art. Man erzählt sich allerdings bei meinem Volk Legenden darüber, dass eure Nebelpfade niemals zufällig gewählt sind. Sagt, warum habt ihr ausgerechnet diesen Teil der Stadt aufgesucht? Ihr findet hier nichts als Niyams Kräuterladen, doch gewiss können die Dunklen Töchter sich alle Heilkräuter dieser Welt selbst suchen?“
Seine Art zu sprechen, sowohl die erhabene Wortwahl als auch der schwingende Akzent in seiner Stimme, gefiel Inani so gut, dass sie Vertrauen zu ihm fasste. Sie spürte, dass Kythara sich ebenfalls entspannte.
„Ich wollte eine Gasse finden, in der wir unbeobachtet Eintritt nach Roen Orm nehmen können und schnell zu unserem Ziel gelangen. Ich weiß nicht, ob ich einen Fehler gemacht habe.“ Unsicher blickte sie zu Kythara auf.
„Unbeobachtet sind wir nicht, und es ist noch ziemlich weit bis zu unserem Ziel, wenn ich richtig sehe. Aber wie Niyam schon sagte, die Nebelpfade sind niemals zufällig. Was auch immer dich hierher führte, wir sollten es herausfinden, bevor wir weitergehen.“
„So tretet ein, dunkle Töchter. Diese Gasse wird selten genutzt, aber in Roen Orm sollte man nicht zu lange an einem Ort bleiben.“ Der Loy winkte einladend und trat dann durch eine niedrige Holztür zu seiner Linken. Roh behauene Stufen führten hinab in einen Raum, der vollgestopft war mit Regalen, Fässern und Kisten. Jede freie Fläche war wiederum mit Kästchen und Leinensäckchen bedeckt. Bündel getrockneter Kräuter hingen von der Decke, und eine betäubende Vielzahl von Gerüchen schlug auf Inanis Sinne ein. Sie war noch nicht geschult genug, um alle unterscheiden zu können, doch was sie erkannte, reichte aus: Neben gewöhnlichem Tee gab es hier Heilkräuter jeder Art, manche harmlos und ungefährlich, viele konnten aber auch als Gift dienen. Kythara lächelte, während sie sich umschaute.
„Eine wunderbare Sammlung, verehrter Niyam.“ Zielsicher wies sie auf einige Tongefäße in einer Ecke. „Sicherlich hast du viele Kunden?“
Die beiden wechselten einen wissenden Blick, den Inani nicht deuten konnte.
„Nicht so viele, wie ich es mir wünschen würde. Dieses Pulver ist zudem sehr teuer und schwer zu erwerben. Meine Lieferanten sind stets im Verzug.“
„Wenn ich nun eine regelmäßige, pünktliche Lieferung zu einem ausgesprochen vernünftigen Preis garantieren könnte ...“ Kythara neigte den Kopf und lächelte schmal. Der Loy zögerte.
„Die Töchter der Dunkelheit brauchen kein Gold. Ich kann auf dein Angebot nicht eingehen, solange ich nicht weiß, was mich das kosten würde.“
„Sagen wir mal ... Es gäbe einen Mann, der einen Umsturz plant. Ein Mann, der Verbündete benötigt, und Waffen. Viele Waffen. Wir haben keine Schwierigkeiten, für Verbündete zu sorgen, doch gute Schwerter, Armbrüste und Kriegsäxte fallen genauso wenig vom Himmel wie alltäglichere Nutzgeräte, sagen wir, Seile,
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