Toechter der Dunkelheit
es gibt Hoffnung in dieser Welt.“
Er wandte sich ab, er spürte die Blicke der verborgenen Nolikrieger. Sie würden ihn nicht grundlos angreifen, zu sehr fürchteten ihn die kleinen Geschöpfe, die ihm kaum bis zum Bauch reichten. Doch wenn es sein musste, würden sie ihn bekämpfen, mit aller Entschlossenheit.
24.
„Der Tod ist nicht das Ende für die Seele: Sie lässt die sterbliche Hülle zurück und wandert zum jenseitigen Land. Die Wächter entscheiden, wer durch das Tor treten darf und wer noch einmal wiedergeboren werden soll. Sie lieben jede Seele, selbst die sündigste und verdorbenste. Was jenseits der Tore liegt, weiß niemand, doch es gilt zu hoffen, dass es gut ist, denn es steht fest: Dort ist man den Göttern nah. Allen Göttern.“
Übersetzung einer Schrifttafel, gefunden in Roen Orm
„Es geht zu Ende mit ihm, Kelan. Es tut mir leid.“
Sviedra drückte ihm die Hand. Das Wissen, seinen Sohn zu verlieren, hatte Kelans letzten Willen geraubt. Ivrons Körper war mit knotigen Geschwüren übersät. Bereits jetzt bekam er kaum noch Luft. Spätestens morgen Früh würde er tot sein. Pera war an seiner Seite, hielt unermüdlich seine Hand, stützte ihn, wenn er von Krämpfen geschüttelt wurde. Sie stopfte immer wieder geduldig Kissen in seinen Rücken, um ihm das Atmen zu erleichtern.
Sein kleines Mädchen.
Er musste sie dem Tod preisgeben. Alle anderen würden überleben.
Auch Pera war inzwischen von der Seuche betroffen, ihre glasigen Augen verrieten das Fieber, das sie zu verstecken versuchte.
Ich könnte es selbst tun. Ein rascher Stich ins Herz, wenn sie schläft. Dann gehe ich mit ihr in den Wald. Osmege würde sie nicht anrühren können, aber er hätte erreicht, was er will.
Ihr Götter! Ich kann das nicht!
„Kelan, deine Kinder brauchen dich. Stehe ihnen in ihren letzten Stunden bei, reiß dich zusammen! Du selbst bist noch nicht erkrankt!“, zischte Sviedra und rüttelte ihn grob durch. Sie wollte weiter auf ihn einreden, doch jemand klopfte wie wild an die Haustür und schrie: „Sviedra, bist du hier? Komm rasch, Blarn ist bewusstlos!“
Die alte Frau starrte müde auf Kelan nieder, dann eilte sie ins Freie.
Langsam schleppte sich Kelan an die Seite seines sterbenden Sohnes. Er hielt seine Hand, sprach beruhigende Worte, ohne zu hören, was er sagte. All seine Sinne konzentrierten sich auf Pera. Ihre dunkelbraunen Augen starrten blicklos ins Leere, mechanisch stand sie ihrem Bruder bei. Während die Stunden langsam verrannen, Dunkelheit in das Zimmer kroch, zitterte sie immer stärker. Ivrons qualvolle Atemzüge wurden derweil seltener.
Irgendwann sprang das Mädchen auf, suchte Halt, doch sie griff ins Leere.
„Mutter “, wisperte sie heiser. Dann stürzte sie zu Boden.
Mit langsamen, müden Schritten näherte sich Kelan seiner Tochter. Das Messer in seiner Hand war unerträglich schwer.
Erlöse sie, erlöse sie … Sie stirbt! Niemand kann ihr mehr helfen, es ist eine Gnade, erlöse sie! Erlöse sie jetzt und bring sie in den Wald! Lass sie nicht tagelang leiden, rette damit die anderen! Erlöse sie …
Sanft nahm er sein Kind in die Arme, küsste das geliebte vertraute Gesicht. Sie war so jung!
Weinend hob Kelan das Messer. Aber er war nicht bereit, es in Peras Herz zu stoßen. Würde es niemals sein.
Da schloss sich eine kleine Hand um sein Gelenk. Benommen starrte er auf die blauen Finger, die Schwimmhäute, die perlmuttschimmernden Nägel. Dann blickte er in das Gesicht einer Famár.
„Ich bin Chyvile. Löse dich von Osmeges Lügen, Kelan von Navill“, sagte sie sanft.
Er ließ sich das Messer widerstandslos abnehmen, protestierte auch nicht, als die Famár Pera fortbrachte.
Chyvile musste sich rasch entscheiden. Sie war erschöpft, die letzten Stunden des Weges hatte sie viel von ihrer Kraft fortgeben müssen, um Jordre am Leben zu erhalten. Der Junge lag bewusstlos am Boden neben der Tür, dort, wo sie ihn niedergelegt hatte. Er würde überleben, wenn er jetzt viel Ruhe bekam. Pera ging es schlecht, doch sie würde die nächsten Stunden noch ohne Hilfe überstehen. Der junge Mann im Bett hingegen war so gut wie tot. Sollte sie es riskieren? Sie konnte nur einen von beiden direkt magisch heilen, weiter reichten ihre Kräfte nicht. Die übrigen Orn würde sie mit einem Heiltrank retten. Falls sie sich allerdings irrte, wenn der Trank zu schwach sein würde, oder Peras Zustand ernster, als sie dachte …
Zögernd blickte sie zwischen Pera
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