Toechter der Dunkelheit
betrachtete seine bebende, bleiche Tochter und seufzte tief. Er hatte ihr das angetan. Er hatte sie dazu verflucht, mit dem magischen Zeitenstrom verbunden zu sein. Seine Schuld. Der Untergang seines Volkes, seine Schuld. Nur noch so wenige lebten, viel zu
lange dauerten die Kämpfe gegen Roen Orm schon an. So viel Leid hatte Taón über Menschen und Elfen gebracht, so viel Blut … Tag und Nacht träumte er von all den Toten. Es gab kein Entrinnen. Einen Sieg zu erringen, daran glaubte niemand mehr. Maondny und ihre Gabe war die letzte verzweifelte Möglichkeit, das Schicksal zu wenden und in Roen Orms Heiligtum vordringen zu können. Wie sehr er wünschte, die Zeit zurückdrehen und alles anders machen zu können!
Maondny hasste es, Schuld und Trauer ihres Vaters mitansehen zu müssen. Mühsam riss sie sich zusammen und schirmte sich von seinen Ängsten und Erinnerungen ab.
„Du weißt, warum, Maondny. Versuch es noch einmal. Du weißt, wir brauchen Hoffnung.“
Taón wies auf die Elfen, die in der Höhle kauerten. Viele von ihnen hatten alles verloren, ausgenommen ihr Leben. Die Augen starrten blind in die Leere. Sie hatten Freunde oder Verwandte sterben sehen, waren an Leib und Seele verletzt worden in dem langen sinnlosen Krieg gegen die Menschen und deren Magier.
Noreos Lebensfluss ist versiegt, dachte Maondny interessiert, als sie einen der Männer betrachtete. So etwas hatte sie schon häufiger erlebt, es war als würde er sich weigern, ein Schicksal haben zu wollen. Er lebte, atmete, sein Herz schlug, aber sie sah keine Zukunft mehr für ihn, keinen Lebensweg. Nicht einmal den Tod. Möglich, dass es bald allen Überlebenden ihres einst so großen Volks so ergehen würde, wenn der Schicksalsfluss sich nicht wenden ließ.
Aber was war das? Sie erblickte eine Taube, die einen goldenen Faden im Schnabel trug und ihn in Noreos Hand fallen ließ. Eine mögliche Zukunft … Doch was notwendig war, um eine solche Zukunft zu ermöglichen, ließ Maondny erschaudern.
Eine Berührung erinnerte sie daran, dass sie an der Reihe war, etwas sagen zu müssen. Rasch blickte sie in die Vergangenheit, um die Worte ihres Vaters noch einmal zu hören: „Du weißt, wir brauchen Hoffnung.“
„Hoffnung, Vater? Du sagtest doch, Hoffnung ist die Geißel der Lebenden, der Fluch, der sie hindert, den Frieden im Tod zu suchen?“ Kann er mich nicht in Ruhe lassen? Seit Jahren immer die
gleichen Forderungen nach Antworten, die ich nicht geben kann! Die er niemals hören darf!
Befremdet starrte Taón auf sie nieder. Seine schwarzen Augen entflammten vor Zorn.
„So etwas habe ich nie gesagt, so etwas würde ich niemals wagen auszusprechen!“, grollte er mühsam beherrscht.
„Mein Fehler“, sagte Maondny geistesabwesend. „Du wirst es sagen, in ein paar Jahren, vielleicht. Manchmal verwechsle ich Vergangenheit und Zukunft.“
Eine Elfe mit silberweißem Haar trat zu ihnen und legte begütigend die Hand auf Taóns geballte Fäuste. Es verwirrte P’Maondny, dass sie diese Frau stets erst auf dem zweiten Blick als ihre Mutter erkannte. Fin Marla gehörte zu jenen, die bereits mehrfach wiedergeboren wurden. Während alle anderen Elfen sich allerdings in der Jugend entschieden, ob sie ihrem gegenwärtigen oder einem früheren Schicksalsweg folgen wollten, besaß ihre Mutter die Macht und Kraft, alle begonnenen Leben zu vereinen. Wann immer sie diese Frau ansah, entdeckte sie neben ihrer Mutter noch drei weitere Elfinnen.
„Bedränge sie nicht zu sehr, du weißt, dass sie nicht mehr in unserer Welt lebt!“ P’Maondny wagte einen intensiveren Blick auf Fin Marla. Ihr eigenes schwarzes Haar musste von Taón stammen, aber ansonsten war sie das Spiegelbild ihrer Mutter, ähnlich hochgewachsen und schlank. Auch die Gabe der Sicht war ein Erbe von Fin Marla, die neben ihr die stärkste Seherin ihres Volkes war. Doch während Maondny willentlich jederzeit das Schicksal betrachten konnte, musste Fin Marla auf Visionen warten, die niemals von vergleichbarer Klarheit waren.
„Nun versuch es bitte. Sag mir, was wir tun müssen, um dem Krieg zu entgehen und Frieden zu finden.“
„So eine Frage hast du bis jetzt nicht gestellt.“ Maondny wehrte sich gegen die vielfältigen Visionen, die am Rande ihres Bewusstseins lauerten. Das könnte interessant werden … Oh Götter, ihr verlangt zu viel!
„Deine Mutter meinte, es wäre notwendig, neue Fragen zu stellen.“
Gewiss. Deine ewigen Fragen nach Waffen, Führern und
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