Toechter der Dunkelheit
Kind. Ti stehe uns bei, gegen ihre Magie gibt es kaum eine Waffe, selbst die mächtigsten Magiekundigen unter den Sonnenpriestern unterliegen viel zu oft der Grausamkeit der Elfen.“
Kuran von Roen Orm, „Über die Elfen“, Zeit unbekannt
Schwerter… das Blut spritzt zu allen Seiten … Schreie, furchtbare Schreie der Todgeweihten … Ein Menschenmann in schwarzer Lederrüstung steigt von seinem Pferd, er sieht die Elfe nicht, die verächtlich auf ihn wartet, dort oben im Baum … Schreie seiner sterbenden Gefährten … der Schmerz in ihrem Blick, als sie die Hand hebt, um auch sein Leben auszulöschen …
P’Maondny zuckte zusammen, als sie eine Berührung an der Schulter spürte. Unwillig löste sie sich aus dem magischen Zeitenstrom, mit dem sie nahezu ununterbrochen verbunden war und sah auf. Ihr Bruder stand vor ihr, wartete geduldig, bis ihre übliche Verwirrung abklang. Sie hasste es, in dieser wirklichen, wahrhaftigen Welt aufzuwachen. Für sie war dies die Vergangenheit. In ihren magischen Träumen tauchte sie beständig in den Fluss der Zeit ein, verfolgte alle Strömungen, Strudel und Nebenflüsse des Schicksals mehrerer Welten. So kannte sie stets die wahrscheinlichste Zukunft aller Völker. Dazu überfielen sie häufiger Visionen einzelner Lebewesen, die fähig waren, den gesamten Strom umzuleiten. Die Nähe von anderen quälte sie, denn statt friedlich dem Lauf der Jahrhunderte zu folgen musste sie dann Tod und Sterben eines Einzelnen mit ansehen. Seine unendlichen Möglichkeiten des Schicksals, fast alle von Leid und Schmerz geprägt. Die Vernichtung eines ganzen Volkes zu beobachten, das war für sie wie ein Blick auf einen Ameisenhaufen. Es berührte sie nicht weiter. Die Nähe zu einem individuellen Wesen aber traf sie tief. Darum hielt sie sich von ihrer Familie fern, kannte keine Freunde. Aus diesem Grund wollte sie nicht in der wirklichen Welt leben. Wenn sie sich anstrengte, konnte sie diese Todesvisionen zwar unterdrücken, doch sie hatte bisher keinen Grund gefunden, so viel Mühe auf sich zu nehmen. Es war so viel einfacher, in die Welt ihrer Visionen zu entfliehen …
„Maondny, Vater ruft nach dir. Komm mit.“
„Ich heiße P’Maondny. PE-MA-ONT-NI. Du sollst mich beim vollen Namen nennen“, murmelte sie matt während sie sich schwankend von dem Felsbrocken erhob, auf dem sie mehrere Tage lang regungslos gesessen hatte. Hätte Anovon nicht rasch zugegriffen, wäre sie zu Boden gefallen. Schwer atmend klammerte sie sich an seinen schlanken, hochgewachsenen Leib.
Sanft strich er über ihr schwarzes, wirres Haar, das wie so oft unordentlich um ihr schmales Gesicht hing.
„Du solltest wirklich gelegentlich essen und trinken, Schwesterchen.“ Kopfschüttelnd zwang er Maondny, aus seinem Wasserschlauch zu trinken und zog sie dann entschlossen mit sich. Es fiel ihr schwer, Anovon zu folgen, hinauf zu den gut verborgenen Höhlen in der Felswand der Nihash-Vorgebirge, nicht weit entfernt von Roen Orm.
„Nicht so rasch, Bruder, hier müssen wir einen Moment warten“, flüsterte sie am Höhleneingang, einige hundert Schritt über dem Erdboden. Sie kümmerte sich nicht um seinen wütenden Blick, oder das Gemurmel der Elfen, die sich dort in der Nähe aufhielten und die Szene beobachten konnten.
„Vater, hier ist sie, wahnsinnig und halb verdurstet, wie immer also“, sagte Anovon besorgt, als er Maondny endlich zum König der Elfen geschleift hatte.
„Hat sie gesprochen?“
„Nein, diesmal keine Visionen.“ So rasch wie möglich floh er hinaus ins Freie. Mehr als einmal hatte Maondny ihm mögliche grausame Schicksalsschläge geschildert, die ihn treffen könnten. Sie sah ihm nach, beobachtete, wie er den Höhleneingang im Sturmschritt hinter sich ließ. Ganz gewiss würde sie ihm nicht erzählen, warum sie ihn vorhin hatte warten lassen.
Zwei Herzschläge später, und er hätte Elory gestreift, der Tonkrug in ihrer Hand wäre gefallen und zerbrochen. Niemals wären sie ein Paar geworden, mein Neffe nicht geboren. Zehn Herzschläge früher und er hätte Dashao geschubst, der in Elorys Rücken gefallen wäre. In diesem Fall wäre Elory gestorben und könnte den Angriff auf die Festung nicht mehr leiten. Hunderte Menschen würden nicht sterben …Nun sieh mal an, was aus deren Nachkommen …
„Liebes, hörst du mich?“ Zärtlich strich Taón über Maondnys Kopf, bis sie zu zittern begann und wach zu ihm aufblickte.
„Warum quälst du mich, Vater?“
Taón
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