Toechter der Dunkelheit
Nacht verging unter ihren Klängen, Licht explodierte in der Finsternis, und begleitet vom Chor riesiger Meteoritenschwärme begann der erste Tag.“
Inani errötete verlegen, als Alanée sich sichtlich das Lachen verkniff. Sie wusste, dass sie sich manchmal etwas sehr blumig ausdrückte.
Hastig fuhr sie fort: „Der Weltenschöpfer lächelte, Pya spielte ihr Lied, in das Ti mit seiner Trommel einfiel. Eine Zeit der Vollkommenheit, in der friedliches Staunen und die Musik der Sphären alles beherrschte. Pyas Flöte hatte ihren Bruder entflammt, die hohen Klänge, mal klagend, mal frohlockend, mal süß und sanft, mal beängstigend, fesselten ihn an sie. Sein feuriges Gesicht erwärmte die Schöpfung, brachte Licht und Leben in alle Welten. Sie liebte seine Schönheit, sein Leuchten, seine glühende Leidenschaft, mit der er tanzte und spielte, mal düster, mal hell, mal langsam, mal rasend schnell.“
„Sehr richtig, Inani, du hast gut gelernt. Doch warum konnte es so nicht bleiben?“, fragte Alanée.
„Weil der Weltenschöpfer es so bestimmt hat, weil Leben nach seinem Gesetz Veränderung bedeutet.“
„Ja, genau. Gleichgewicht kann es nur geben, wenn es gegensätzliche Kräfte gibt, die auseinanderstreben, und nur durch beständige Veränderung kann die Balance gehalten werden. Es konnte kein dauerhaftes Gleichgewicht zwischen Pya und Ti geben, es hätte den Regeln des Lebens widersprochen.“
Inani nickte, dies wusste sie alles, auch, wenn sie nicht sicher war, es verstanden zu haben.
„Pya und Ti gerieten in Streit, ein jeder glaubte, mit seiner Musik dem Weltenschöpfer besser als der andere zu dienen. Bevor der Herrscher der Ewigkeit eingreifen konnte, hatten sie bereits zu kämpfen begonnen: Ti umschlang seine Schwester, zerstörte ihre Flöte und verbrannte sie mit seiner Hitze. Sie starb nicht kampflos, sondern wehrte sich mit Kälte und Magie. So töteten sie sich gegenseitig.
Die Sphärenmusik verklang und es wurde still in der Unendlichkeit. Voller Trauer erweckte der Weltenschöpfer sie zu neuem Leben, denn er wollte nicht auf ihre Schönheit und ihre Musik verzichten. Damit sie nie wieder in solch tödlichen Streit geraten, hat er etwas von Tis Feurigkeit in Pyas Seele gebannt, und ein wenig ihres silbernen Leuchtens ist in seinem Wesen verblieben. Dazu hat er sie getrennt: Wenn Pya herrscht, schläft Ti und umgekehrt. Manchmal besucht sie ihren Bruder mutig, hält allerdings respektvollen Abstand.
Im Frühjahr ist seine Macht am größten und wächst stetig weiter an, aber in der Mitte des Sommers beginnt Ti zu ermüden und Pyas Kräfte regieren die Welt im Herbst. In der Zeit zwischen Wintersommerwende und Frühlingsfest ist Pyas Macht geschwächt.“
Shora lächelte, als sie die Ungeduld in Inanis Gesicht sah. „Wir langweilen dich, nicht wahr?“
„Ich verstehe immer noch nicht, warum die Menschen sich von der Göttin abgewendet haben.“
„Nun, es werden sicher auch wieder andere Zeiten kommen. Im Moment sieht es so aus, dass die Männer die Vorherrschaft über das Menschenreich haben.
Seit langer Zeit versuchen sie, Pya zu leugnen, reden davon, dass die alten Legenden alles Lügen sind, dass es bloß einen einzigen Gott gab. Ti und der Weltenherrscher sind in ihrem Denken ein einziges Wesen. Frauen wurden geschaffen, um dem Mann zu gefallen und ihm zu gehorchen. Die Sonnenpriester haben ihr Ziel, Roen Orm als Könige zu beherrschen, zum Glück noch nicht erreicht, sonst würden vermutlich bald Frauen der Hexerei angeklagt, sobald sie ihren Männer einen Wunsch verweigern. Uns wahre Hexen wollen sie vernichten, wie du weißt.“
Inani nickte. Sie hatte in den letzten Wochen oft genug gehört, wie man Hexen gefoltert und verbrannt hatte, nur weil sie ihrer göttlichen Berufung nachgingen und für das Gleichgewicht der Dinge sorgen wollten.
„Und du glaubst wirklich, dass sich dies ändern wird?“
„Ich bin davon überzeugt. Zurzeit mag Ti die Vorherrschaft haben, doch die Kräfte werden wieder zum Gleichgewicht streben. So war es schon immer! – Und danach wird Pya den größeren Einfluss gewinnt, bis auch dieses Zeitalter vergeht.“
„Ist es eigentlich wahr, dass Enra entstand, als Pya weinte, weil sie von ihrem geliebten und gehassten Bruder getrennt ist?“
„So sagt es die Legende. Ihre Träne fiel auf unsere Welt, die bis dahin nur leblose Wüste war. So sollen die Meere entstanden sein, die alles Leben gebaren. Ti blickte der Träne nach, und seine Wärme und
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