Toechter der Dunkelheit
ebnen. Der neue König wird schwach sein und den Hexen verfallen. Diese Erwählten der Dunkelheit könnten die Söhne des Lichts niederringen, und uns ziehen lassen, sobald in Anevy alles bereit ist. Doch nur eine falsche Entscheidung, auf unserer oder anderer Seite, und alle Hoffnung ist dahin.“
Mit diesen Worten sank sie in sich zusammen, nahezu ausgebrannt von den Stunden in magischen Strömungen und dem Betrachten der unentwirrbar verflochtenen Lebenswege aller Völker.
„Weißt du, was sie meint?“, fragte Taón unsicher. So lange hatte er gehofft, gekämpft, alles versucht, um sein Volk vor dem Untergang zu bewahren. Ob es wirklich einen Weg gab, einen Weg nach Roen Orm? Wer oder was waren die Hexen? Etwa die Pya-Töchter, deren Existenz von vielen Menschen zwar befürchtet, aber nicht geglaubt wurde?
„Ich fürchte, ich weiß es.“ Fin Marla wiegte Maondny im Arm, als wäre sie ein krankes Kleinkind. „Dieser Weg birgt kaum Hoffnung, er führt beständig auf den Abgrund zu. Wenn es wirklich der einzige Weg ist, nach Roen Orm, nach Hause, zurück zu unserem Volk, dann werden wir ihn gehen müssen. Alles wird von der Willensstärke und dem Geschick unserer Tochter abhängen.“
„Wie lange werden wir warten müssen, Herrin?“ In dem Dämmerlicht der Höhle war nicht zu erkennen, welcher Elf diese bange Frage gestellt hatte. Erst jetzt wurde Taón bewusst, dass sich alle Sippenmitglieder um sie versammelt hatten.
„Ich weiß es nicht, einige Jahrzehnte wohl. Die Steintänzerin muss ihre Gefährten finden. Und es steht noch eine Sternenkatastrophe bevor, die Einfluss auf den Weltenstrudel nimmt. Wir müssen lernen, anderen zu vertrauen. Roen Orm ist der Schlüssel zu allem. Hier werden sich alle Wege und Schicksale kreuzen.“
„Roen Orm ... Wir können sie nicht beherrschen, die Geschicke dieser Stadt.“
„Nein. Das konnten nicht einmal die Götter“, wisperte Maondny, während in ihren Augen bereits wieder der goldene Fluss der Gezeiten schimmerte.
6.
„Eine Welt, die den Göttern wohlgefällig ist, befindet sich im Gleichgewicht. Doch so, wie Pya ihren Bruder erschlägt und Ti seine Schwester verschlingt, gehören auch Krieg und Streit und Zeiten des Ungleichgewichts zum göttlichen Plan.“
Yosi von Rannam, „Töchter der Dunkelheit“
Der Winter entließ das Land zögerlich aus seinem frostigen Griff, die Tage wurden wieder länger. Die Hexen atmeten erleichtert auf, sie waren es müde geworden, Eis und Schnee zu ertragen. Die Vorbereitungen für das Siuta-Fest nahm die Gemeinschaft der Schwestern nun in Anspruch.
„Endlich, Inani, ich habe so viele Jahre auf dieses Fest verzichten müssen!“ Shora wirkte gelöst, wie Inani sie noch nie erlebt hatte: Sie lachte, scherzte und mischte sich unter die Hexenschwestern, deren Nähe sie sonst eher mied.
„Warum feiern denn die Menschen nicht das Fest der Göttin? Sie kennen Pya doch, genauso wie wir!“ Inani dachte an das Frühjahrsfest in ihrem alten Dorf. Zwar freute man sich auch dort über das Wiedererwachen des Lebens, über die Rückkehr der göttlichen Kräfte, aber es war ein reines Saatfest, von Pya sprach niemand. Man dankte Ti für seine Wärme, das war alles.
„Hast du Nuram niemals zugehört?“ Alanée gesellte sich zu Mutter und Tochter, die in ihrer Hütte saßen und für die Feierlichkeiten kleine Weidenkörbchen flochten.
„Einem Sonnenpriester?“ Inani kicherte. „Immer nur die ersten drei Worte, er war viel zu langweilig.“
„Du hast Recht, trotzdem, du hättest viel von ihm lernen können, Liebes. Warum hast du sie nicht dazu angeleitet, Shora?“
„Habe ich. Wenn du eine eigene Tochter hättest, wüsstest du, dass Kinder selten tun, was ihre Mütter verlangen. Vielleicht möchtest du dich an deine eigene Jugend erinnern, Liebes ?“
Inani sah zwischen den beiden Frauen hin und her, die unterdrückte Feindseligkeit, die kühlen Blicke und scharfen Untertöne verwirrten sie.
„Du kennst die Legende von Pya und Ti, dem göttlichen Geschwisterpaar?“ Shora legte ihr halbfertiges Körbchen beiseite und setzte sich auf ihrem Schemel zurecht, als Alanée diese Frage stellte.
„Natürlich! Pya und Ti sind Kinder des Weltenschöpfers, der mit seinen Gedanken alles Leben begann, auch sein eigenes. Sie tanzten lange Zeit in der Ewigkeit, zwischen den Welten. Pya sang und spielte für ihren Bruder auf ihrer Himmelsflöte, bis sie irgendwann erkannte, dass ihre Musik Seltsames bewirkte: Die ewige
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