Töchter Der Finsternis
Büschel von glockenförmigen Blumen. Keine Iris, keine Dahlie, keine Rose. Nein, nur eine Blume von denen, die Rowan erwähnt hatte, glich ihr. Sie wuchs hier in der Gegend und war tödlich giftig.
Es war Fingerhut.
Jetzt wusste sie also Bescheid.
Mary-Lynnette wurde heiß. Sie spürte Übelkeit. Die Hand, mit der sie das Brett hielt, begann zu zittern. Sie wollte sich nicht von der Stelle bewegen, aber sie konnte auch nicht hier bleiben.
„Entschuldige, ich muss eben was holen." Sie stieß die Worte gepresst hervor. Sie wusste, dass alle sie anstarrten, aber es war ihr egal. Sie ließ das Brett los und floh.
Erst hinter den zugenagelten Fenstern des Gold-Creek-Hotels blieb sie stehen. Dort lehnte sie sich gegen die Wand und starrte den Ort an, wo die Stadt endete und die Wildnis begann.
Staubflocken tanzten im Sonnenlicht und hoben sich hell von den Fichten ab.
Ich bin so dumm. Alle Anzeichen waren da, direkt vor meiner Nase, dachte sie. Warum habe ich es nicht schon früher gemerkt? Ich glaube, weil ich es nicht wollte ...
„Mary-Lynnette."
Sie wandte sich zu der sanften Stimme um und widerstand dem Drang, sich in Rowans Arme zu werfen und loszuheulen.
„Ich bin gleich wieder okay. Bestimmt. Es ist nur der Schock."
„Mary-Lynnette ..."
„Es ist nur ... es ist nur ... Ich kenne ihn schon so lange. Es ist nicht einfach, sich ihn vorzustellen als ... du weißt schon, was. Aber ich glaube, das beweist es mal wieder. Die Men
schen sind nie so, wie sie scheinen", stammelte sie.
„Mary-Lynnette ..." Rowan hielt inne und schüttelte den Kopf. „Wovon redest du?"
„Von ihm. Von Jeremy." Sie rang nach Atem. Die Luft war stickig und heiß. „Er hat es getan.
Er hat es wirklich getan."
„Warum glaubst du das?"
„Warum? Weil er ein Werwolf ist!"
Es entstand eine Pause, und Mary-Lynnette wurde plötzlich sehr verlegen. Sie sah sich um, um sicherzugehen, dass niemand in Hörweite war, dann fuhr sie leiser fort: „Oder etwa nicht?"
Rowan musterte sie neugierig. „Woher weißt du das?"
„Du hast gesagt, dass schwarzer Fingerhut das Kennzeichen für Werwölfe ist. Und es ist schwarzer Fingerhut auf seinem Siegelring abgebildet. Aber woher weißt du es eigentlich?"
„Ich habe es gespürt. Die Kräfte der Geschöpfe der Nacht sind im Sonnenlicht schwächer, aber Jeremy hat gar nicht erst versucht, etwas zu verbergen. Er ist sehr direkt"
„Das ist er", sagte Mary-Lynnette bitter. „Ich hätte es spüren müssen. Ich meine, er ist der Einzige in der Stadt, der sich für die Mondfinsternis interessiert hat. Die Art, wie er sich bewegt und dann seine Augen ... Außerdem lebt er am Mad Dog Creek - in der Schlucht der verrückten Hunde. Das Land ist schon seit Generationen im Besitz seiner Familie. Und ..." sie schluchzte plötzlich heftig, „... man erzählt sich, dass Sasquatch dort gesehen wurde. Ein großes, haariges Monster, das halb Mensch, halb Tier ist. Na, wie hört sich das an?"
Rowans Gesicht war ernst, aber ihre Lippen zuckten leicht.
Mary-Lynnette sah alles nur noch verschwommen, und Tränen liefen ihr die Wangen hinunter.
„Es tut mir Leid." Rowan legte ihr die Hand auf den Arm. „Ich lache dich nicht aus."
„Und ich habe gedacht, er ist so ein netter Kerl." Mary-Lynnette wandte sich ab.
„Ich glaube, das ist er immer noch. Und außerdem bedeutet es, dass er es nicht getan hat."
„Weil er ein netter Kerl ist?"
„Nein, weil er wirklich ein Werwolf ist."
Mary-Lynnette drehte sich um. „Was?"
„Weißt du, Werwölfe sind anders. Sie sind nicht so wie Vampire. Sie können nicht nur ein wenig Blut von einem Menschen oder Tier trinken und dann aufhören, ohne wirklich Schaden anzurichten. Sie töten jedes Mal, wenn sie jagen, denn sie müssen essen." Mary-Lynnette schluckte, aber Rowan fuhr ruhig fort. „Nur manchmal essen sie das ganze Tier, aber sie essen immer die inneren Organe, das Herz und die Leber. Das müssen sie tun, so wie Vampire Blut trinken müssen."
„Und das bedeutet...?"
„Er hat Tante Opal nicht getötet und auch die Ziege nicht. Beide Leichen waren noch vollständig." Rowan seufzte. „Werwölfe und Vampire hassen sich traditionell. Sie sind seit Ewigkeiten Gegner, und in den Augen der Lamia sind Werwölfe eine niedrigere Kaste. Aber in Wirklichkeit sind viele von ihnen sanftmütig. Sie jagen nur, um zu essen."
„Ach so", sagte Mary-Lynnette hohl. Sollte sie nicht etwas glücklicher darüber sein? „Also der Typ, den ich so nett fand, muss nur hin
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