Töchter der Luft
Wohnzimmer. Ich fand ihn im Badezimmer, wo er — seine rechte Hand im Waschbecken kühlte.
»Ray! Ist deine Hand verletzt?«
»Es ist nichts Schlimmes.«
»Laß mich mal sehen.«
»Mach dir keine Sorgen. Betty Schwartz wird gleich kommen, sie wird sich darum kümmern.« Er schenkte mir ein flüchtiges, beruhigendes Lächeln.
Mein Gott, was für ein Wochenende. Nichts als Unglücksfälle.
Ich war nicht weit entfernt von einem hysterischen Anfall. Aber erst mußte ich diese Geschichte mit Donna in Ordnung bringen. Ich sagte: »Liebling, kann ich dich eine Minute sprechen, bitte?«
»Natürlich. Aber wir wollen erst mal hier ‘rausgehen.« Er drehte den Kaltwasserhahn zu und tupfte sich die Hand behutsam mit einem Handtuch ab; dann führte er mich ins Wohnzimmer. »Was hast du auf dem Herzen?«
Ich bebte. »Es handelt sich um meine Freundin, Donna Stewart.«
Er sagte ruhig: »Was ist mit ihr?«
»Liebling, bitte, gib ihr noch eine Chance.«
Sein Mund wurde hart. »Dazu ist es leider zu spät.«
»Ray, es kann nicht zu spät dazu sein, sie ist noch im Hotel.«
»Es tut mir leid. Ich habe schon mit Arnie Garrison und Mrs. Montgomery gesprochen. Sie haben ihre Entlassung bestätigt. Es ist für sie ein Platz reserviert in der Maschine um Mitternacht.«
»Ray, willst du mir bitte eine Minute lang zuhören?«
»Es hat keinen Sinn, Carol.«
»Willst du mir bitte zuhören?«
»Okay.« Er setzte sich auf eine Sessellehne und sah mich an. Er war blaß, sicherlich hatte er Schmerzen. Aber ich mußte ihn dahin bringen, die Sache mit Donna zu verstehen, ich mußte sie retten.
Ich sagte: »Ray, ich weiß, sie hat sich fürchterlich aufgeführt in der Halle. Dieser Narr, Elliott Ewing, muß mit ihr Mittagessen gegangen sein und sie zum Trinken animiert haben.«
»Animiert? Sie —?« fragte Ray.
»Liebling, das kann jedem passieren. Das weißt du.«
»Carol —«
»Einen Augenblick, laß mich ausreden. Ray, es ist lächerlich, sie wegen dieses einem Versagens ‘rauszuwerfen. Du mußt zugeben, sie ist für diese Aufgabe wie geschaffen. Sie ist bildschön, sie sieht fabelhaft aus in der Uniform. Selbst Miß Webley hat neulich gesagt, sie sei eine Augenweide für die Passagiere. Und sie ist eine der Gescheitesten in der Klasse, sie steht wirklich an der Spitze. Zählt das alles nicht?«
»Nein. Es tut mir leid.«
»Laß mich erklären. Es gibt einen Grund für ihr Benehmen, Ray. Du kannst dir ja nicht vorstellen, was für eine Woche wir hinter uns haben. Miß Webley hat uns angetrieben, bis wir fast umfielen. Nach einer solchen Woche kann man es einem Mädchen nicht übelnehmen, wenn es ein wenig über die Stränge schlägt, oder?«
»Ich weiß, was in der vorigen Woche los war. Ich weiß von dem Druck. Er war ungefähr doppelt so hart wie sonst.«
»Nun, da hast du’s.«
»Und genau das hatten wir beabsichtigt.«
»Ihr habt das beabsichtigt?«
»Ganz recht. Wir müssen wissen, wie jede einzelne von euch unter einem solchen Druck handelt. Du hast es ausgehalten. Deine andere Mitbewohnerin hat es ausgehalten. Donna Stewart hat versagt. Darum schicken wir sie nach Hause.«
»Aber es ist so unbillig! Es ist so ungerecht! Sie nach Hause zu schicken für dieses eine Versagen.«
»Eine?« Er warf mir einen scharfen Blick zu. »Sie hatte getrunken vorige Woche vor dem Jai-Alai-Spiel. Sie ist bei einer anderen Gelegenheit in einer Bar gesehen worden. Beide Male haben wir ein Auge zugedrückt gemäß dem Grundsatz im Zweifelsfalle für den Beschuldigten. Diesesmal war einmal zuviel.« Er stand auf und legte mir den Arm um die Schultern. »Carol, es tut mir ebenso leid wie dir. Wir sind nicht glücklich, wenn wir ein Mädchen nach Hause schicken müssen, aber unsere Verantwortung ist zu groß. Wir können kein Risiko eingehen.«
»Sie ist meine Freundin, Ray.«
»Ich weiß, aber das ändert nichts an den Tatsachen.«
Ich war den Tränen nahe. »Ich bitte dich nur um das eine, Liebling, gib ihr noch eine Chance.«
Er ließ mich los und wandte sich ab voller Zorn. »Carol, du mußt das meinem Urteil überlassen. Was soll ich deiner Meinung nach tun? Arnie Garrison anrufen und sagen, ich habe meine Meinung geändert? Das Mädchen war heute nachmittag nicht betrunken? Sie ist nicht auf dem besten Wege, eine Alkoholikerin zu werden? Erwartest du das von mir?«
»Ray, wenn du ihr noch ein einzigesmal eine Chance gibst, ich verspreche es dir, ich werde auf sie auf passen, wenn’s sein muß, mit der Peitsche in
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