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Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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Köchinnen sein, Bardamen, Geishas, Fahrkartenkontrolleure, Kindermädchen, Kellnerinnen, Waschraumwärterinnen, und zu alldem auch noch halbe Ärzte. Wir mußten wissen, was man gegen Luftkrankheit tut (ein häufiger Fall), gegen Nasenbluten, Schluckauf (warum hatte man mir das nicht früher gesagt?), gegen Unterleibsschmerzen, Fremdkörper, epileptische Anfälle, alles bis zur Geburtshilfe. Als Doktor Schwartz auf diese Möglichkeit zu sprechen kam, wurden die Mädchen schon während ihrer Einleitung, in der sie nur einen Überblick gab über die zu behandelnden Themen, en masse fast ohnmächtig. Sie setzte die mild überraschte Miene auf, die Miß Webley so oft für uns anwandte, und sagte: »Aber, Kinder, das ist oft genug vorgekommen in letzter Zeit. Es ist sehr leicht möglich, daß eine Frau in eurem Flugzeug Wehen bekommt, während ihr über dem Atlantik fliegt, und wie dumm stündet ihr dann da, wenn ihr nicht Bescheid wüßtet über die ersten Schritte, die ihr zu unternehmen habt... Ihr könnt sie doch nicht einfach in einer Ecke sich selbst überlassen, oder? Das könnte gleichbedeutend sein mit Mord. Das seht ihr doch ein, nicht wahr?«
    Offen gestanden, ich sah es nicht ein. Je länger ich es mir vorstellte — all das Durcheinander und all das Blut, und die Frau, die aus vollem Halse brüllte —, desto mehr kam ich zu der Ansicht, daß es keiner Frau gestattet sein sollte zu fliegen, wenn auch nur der Verdacht auf Schwangerschaft bestand. Jedenfalls nicht in meinem Flugzeug.
    Am Donnerstag früh ging eine aus unserer Klasse zu Mister Garrison und gab auf. Achtundzwanzig. Am Nachmittag desselben Tages wurde ein Mädchen aus Jurgys Klasse in die medizinische Abteilung gerufen, wo man ihr mitteilte, daß es unklug für sie sei, regelmäßig zu fliegen, da sie zu Anämie neige. Doktor Schwartz hatte das gleich zu Beginn herausgefunden, sie hatte versucht, den Zustand zu bessern, indem sie dem armen Wurm Pillen gegeben hatte, aber es hatte nichts genützt. Siebenundzwanzig. Und am selben Abend, am Donnerstagabend, knackte Donna leicht an.
    Die ganze Woche lang war sie vorbildlich gewesen. Fast die ganze Woche davor ebenso. Sie hatte sich großartig in das Leben im vierzehnten Stock gefügt, alles inbegriffen. Und sie war mir beim Unterricht meilenweit voraus. Ich hatte mich immer für recht gescheit gehalten, bis ich nach Miami Beach gekommen war; aber ich schaffte so eben meine neunzig Prozent Durchschnitt, wohingegen Donna fast jedesmal ins Schwarze traf. Sie gehörte zu diesen Menschen, denen eine, wie man es nennen könnte, verborgene Intelligenz eigen ist. Ich will nicht übertreiben und behaupten, sie sei das größte weibliche Genie seit Madame Curie. Sie hatte einfach von Natur aus einen glänzenden Verstand, und es verwirrte mich zu Tode, daß ihr das überhaupt nichts bedeutete.
    Am Donnerstag also, ungefähr um neun Uhr, als wir alle schwitzend über unseren Handbüchern saßen, stand sie plötzlich auf und sagte: »Kinder, ich hab’s satt.«
    »Wer etwa nicht?« entgegnete ich mitleidslos.
    »Kommst du mit ‘raus, bißchen frische Luft schnappen?«
    In ihren Augen blitzte es. Ich fragte: »Was meinst du mit ‘raus?«
    »Oh, ich dachte, ich fahr’n bißchen spazieren.«
    »Nein«, sagte ich. Ich wollte noch immer nicht N. B.’s Impala benutzen.
    Sie schien erleichtert zu sein. »Okay, dann also bis nachher.« Sie schlüpfte aus ihren langen Hosen in ein Kleid, schmückte sich mit goldenen Ohrringen und einem goldenen Armband und entschwand mit wiegenden Hüften. Jurgy und Alma und ich schwitzten weiter über der Behandlung epileptischer Anfälle, Pflichten vor dem Start und dem Mechanismus von Notausstiegen. Und ich muß zugeben, allmählich wurden auch wir ein wenig weich. Der Druck tat langsam seine Wirkung. Wir tranken literweise schwarzen Kaffee, um uns wach zu halten, aber das hielt uns nur wach auf Kosten unserer Nerven.
    Als Donna nach Mitternacht zurückkehrte, schlug ich nicht gerade vor Freude mit den Flügeln. Tatsächlich sagte ich nicht ein Wort. Ich schaute sie nur von oben bis unten an, voll tiefster Verachtung, und fuhr fort, mich mit Nasenbluten zu beschäftigen.
    »He«, sagte sie, gegen die Tür gelehnt, und lachte. »Was ist das für’n Blick?«
    Sie hatte natürlich getrunken. Sie war erregt und glücklich und schön. Ich sagte in eiskaltem Ton: »Weißt du, wie spät es ist?«
    Sie versuchte, den Blick auf ihre Armbanduhr zu richten, und natürlich gelang es ihr

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