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Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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heiraten.«
    »Mister Lukas?«
    »Tja. Mister Lukas. Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht.« Sie trat dicht zu mir und sagte: »Sieh mal.« Sie trug einen Ring am Ringfinger der Rechten, einen schlichten weißen Reif, der aus Platin sein konnte. Doch dann drehte sie langsam den Handteller nach oben, und ich sah den Stein, einen riesigen weißen Stein, er funkelte in dem matten Licht, das vom nächtlichen Himmel kam.
    »Oh, mein Gott, was ist das?«
    »Ein geschliffener Diamant. Jedenfalls hat er mir das gesagt.«
    »Oh, mein Gott, Jurgy. Wenn er echt ist, muß er ein Vermögen wert sein.«
    Ihre Stimme war kalt. »Er ist echt.«
    Tränen strömten mir übers Gesicht. Ich konnte mir nicht helfen. Sie tat mir so leid, mir brach schier das Herz. Ich hätte mich am liebsten hingesetzt und geweint und geklagt und meine Kleider zerrissen und Asche in mein Haar gestreut. Ich sagte: »Jurgy, nein, du wirst ihn doch nicht heiraten?«
    »Doch.«
    »Jurgy, bist du wahnsinnig? Du bist hübsch, alles liegt noch vor dir, du darfst dich nicht wegwerfen an diesen alten Mann. Jurgy, das darfst du nicht.«
    »Er ist sechsundfünfzig. Hör mal, Carol. Ich muß mit jemandem reden, ich muß einfach mit jemandem reden. Du bist der einzige Mensch, den ich kenne.« Sie rief leidenschaftlich: »Carol, willst du mir zuhören, ja?«
    Wir mußten uns beruhigen, wir mußten versuchen, mit ruhigeren Gefühlen dieser grauenvollen Situation ins Auge zu sehen, wir konnten nicht einfach dastehen und einander anschreien.
    Ich sagte: »Möchtest du eine Zigarette haben?«
    Sie nahm eine, und diese kleine Pause half uns beiden. Wir waren sozusagen beide über den Berg.
    »Wer war noch mit auf dem Boot übers Wochenende?« fragte ich.
    »Ein Viehzüchter aus Texas, Harry Winnacker heißt er; und seine Frau Alice Bee; und die Besatzung. Big Joe und Little Joe — ich hab’ ihre richtigen Namen nicht herausgefunden. Jedermann nannte sie so. Big Joe und Little Joe.«
    »Habt ihr viele Fische gefangen?«
    »Harry Winnacker fing einen Schwertfisch. Und ich fing einen. Das soll großartig sein. Wir haben zwei Flaggen gehißt.«
    »Was ist denn das?«
    »Wenn man einen Schwertfisch fängt, hißt man eine Flagge, auf der ein Schwertfisch abgebildet ist, damit jeder es weiß. Wenn man einen Merlin fängt, hißt man eine Merlin-Flagge, Carol.«
    »Okay, erzähl weiter. Ich höre zu.«
    Sie nahm ihre Wanderung wieder auf für ein paar Augenblicke, den Kopf gesenkt; dann kam sie wieder zurück zu mir. »Es ist so. Er hat drei Kinder. Eines ist elf, eines ist neun, und eines ist drei. Er hat seine Frau verloren, beim dritten Kind. Er braucht jemanden, der sich um die Kinder kümmert, ihnen ein Heim schafft und so weiter.«
    »Aber Jurgy —«
    Sie hob ungeduldig die Hand. »Ich weiß, was du sagen willst. Er braucht keine Frau. Er braucht ein Kindermädchen oder so etwas, eine Haushälterin, warum also mich herauspicken? Wie?«
    »Ja, ganz recht. Warum ein hübsches junges Mädchen herauspicken, warum ihr Leben ruinieren? Alles, was er braucht, ist eine gelernte Kraft.«
    Sie sagte: »Er liebt mich, darum.«
    »Ach, wirklich? Quatsch.«
    »Carol, willst du mir bitte zuhören, ja? Hör auf, über ihn herzufallen.«
    »Okay, okay, red weiter.«
    »Er hat mir erzählt, er sei in der Halle gewesen an dem Abend, als wir alle aus New York ankamen. Er hätte mich da schon herausgepickt. Er hätte die ganze Woche lang nach mir Ausschau gehalten — und ich weiß, es stimmt, denn ich hab’s wohl gemerkt, wie dieser große Bursche mich immer angestarrt hat. Gestern abend auf dem Boot hab’ ich ihn gefragt, was ihn an mir so angezogen habe. Und weißt du, was er gesagt hat? Er sagt, er kann eine Frau abschätzen, so wie er einen Stier abschätzen kann. In einer Minute.«
    »Oh, Junge«, rief ich. »Das ist ein schönes Kompliment. Mein Gott, wenn ein Mann je so etwas zu mir sagte, ich würde ihm ins Gesicht schlagen.«
    »Es sollte kein Kompliment sein. Hör zu, Carol, wir hatten eine lange Unterhaltung gestern abend. Ich hab’ ihm erzählt, was ich vorher gewesen bin: Kellnerin. Er sagt, er hat früher Häcksel geschnitten für die Viehzüchter. Ich hab’ ihm erzählt, daß mein Vater im Gefängnis gewesen ist. Er sagt, zum Teufel, er hat ein dutzendmal im Kittchen gesessen, einmal, weil er einen erschlagen hat. Ich hab’ ihm erzählt, daß ich ein Kind gehabt hab’, und er sagt, es sei schade, daß es gestorben ist, er hätte gern noch ein Kind mehr im

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