Töchter der Sechs (German Edition)
keine Gedanken. Er wird in einigen Tagen in einer Siedlung an der Küste aufwachen. Das Tuch, mit dem ich sein Gesicht bedeckte, war mit einem Schlafmittel getränkt. So hat er nicht bemerkt, dass ein Angehöriger meines Stammes mit ihm und den drei Packtieren in südliche Richtung aufgebrochen ist. Der Mann, der ihn begleitet, wird ihn bis zu der Siedlung bringen und ihn dann erneut betäuben. Wenn er dann aufwacht, wird er sich nicht erinnern, wie er dorthin gekommen ist. Wenn er schlau ist, nimmt er die drei Packtiere und sucht sich einen Ort, wo er gut leben kann. Wenn er gegen alle Vernunft zum König zurückkehrt, so wird dieser sicher nicht erfreut sein, dass er sich hat überwältigen lassen. Was immer auch eintritt, euch trifft keine Schuld.“
Mawen war beeindruckt von einem solch ausgeklügelten Plan. Die Götter mussten wahrlich ihre Hand im Spiel haben, wie hätte sich Kahal sonst auf eine solche Unternehmung vorbereiten können.
„Wir danken Euch dafür. Ich habe schon lange überlegt, wie wir uns von dem Spion meines Vaters befreien können.“
„Dann kommt jetzt, wir müssen noch eine kleine Strecke zu Fuß zurücklegen.“
Ein Blick auf die Packtiere zeigte Mawen, warum Kahal sie hatte absteigen lassen. Die Tiere waren erschöpft. Sie waren es sicher auch nicht gewöhnt, Personen zu tragen.
Sie folgten Kahal durch die sternenklare Nacht.
Jahr 3620 Mond 3 Tag 27
Westliche Steppe
Ihr dritter Tag im Lager des Wüstenvolkes brach an. Inzwischen hatten sie wohl jeden Angehörigen der Gruppe kennengelernt. Die meisten waren ihnen offen und voller Neugier begegnet, nur bei einigen wenigen waren Vorbehalte gegen ihn zu spüren gewesen. Mawen hingegen wurde von allen freundlich aufgenommen. Das machte es ihm einfach, seinen Wissensdurst zu stillen. Elec sah ihn manchmal stundenlang nicht, weil er mit einem der Stammesangehörigen in dessen Zelt verschwunden war.
Das Lager der Wüstenmenschen umfasste ungefähr drei Dutzend der typischen runden Zelte, die aus Holzstangen errichtet und mit Tierhäuten und gewebten Stoffen bespannt waren. Insgesamt wohnten hier wohl etwas mehr als hundert Menschen. Er würde Mawen nach der genauen Zahl fragen. Neben den Menschen lebte in dem Lager auch eine Vielzahl von Tieren. Neben Ratas gab es auch noch die zähen Ekas, die wegen ihrer Genügsamkeit selbst in der Steppe gut zu halten waren. Für das Wüstenvolk waren ihre Milch und ihr Fleisch ein wichtiger Beitrag zur Ernährung.Wie er es vorausgesagt hatte, war das Lager in unmittelbarer Nähe der Nördlichen Bergkette. Gleich neben dem Lager gab es einen kleinen See, der stetig von einem Gebirgsbach gespeist wurde. Da es daher nicht an Wasser mangelte, hatte das Wüstenvolk sogar einige Stellen in der Nähe, auf denen sie schnell wachsende Gemüse anbauten. Sie schienen den Lagerplatz eine längere Zeit nutzen zu wollen.
Kurz nach ihrer Ankunft war er enttäuscht gewesen, als er erfuhr, dass diese Gruppe des Wüstenvolkes niemanden hatte, der sich auf die Glaskunst verstand. Schließlich war er sehr daran interessiert gewesen. Doch in den drei Tagen, die sie nun schon bei Kahals Stamm verbrachten, hatte er so viel Neues und Interessantes erfahren, wie er es nicht für möglich gehalten hatte. Von der nomadischen Lebensweise über die Ernährung bis zu ihrer Gesellschaftsstruktur, fast alles unterschied das Wüstenvolk vom Rest der helwarischen Gesellschaft. Es war wenig verwunderlich, dass alle Versuche des Königs, sie zu integrieren, fehlgeschlagen waren. Bisher hatte er vorrangig die Alltagskultur studiert, doch an diesem Abend waren Elec und er beim Stammesältesten eingeladen, der ihnen Einblick in die Legenden und den Glauben des Wüstenvolkes gewähren wollte.
Erst als die Mahlzeit beendet war, begann der Alte auf dieses Thema zu sprechen: „Jahrhunderte der Unterdrückung haben die Menschen Helwas ihren Glauben vergessen lassen, doch wir haben ihn bewahrt und von Generation zu Generation weitergegeben. Mawen, mir wurde zugetragen, dass auch Euer Volk die Götter verehrt.“
„So ist es.“
„Gut, dann wird Euch das Folgende wohl weniger fremd vorkommen. Wir vom Wüstenvolk lehren unsere Kinder, die Natur zu ehren, denn sie ist ein Ausdruck des Göttlichen. Wer die Natur missachtet, beleidigt die Götter, die uns so großzügig zur Verfügung stellen, was wir zum Leben brauchen. Auch Achtung vor den Mitmenschen ist ein Teil der Ehrerbietung an die Götter. Im Gegenzug
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