Töchter der Sechs (German Edition)
sie auf der Wanderung gegen den Sand hatten schützen sollen, stapelt sie neben ihrem Nachtlager. Nun, da sie alles Nötige getan hatte, versank sie wieder in Grübeleien und Selbstvorwürfen. Als es dunkel wurde, legte sie sich nieder und betrachtete den Sternenhimmel. Sie versuchte, jedwede Gedanken zu verdrängen, um Schlaf zu finden.
Jahr 3620 Mond 4 Tag 13
Zentralwüste
Nur mühsam gelang es ihm, die Augen zu öffnen. Was war geschehen? Jemand beugte sich über ihn. Das Gesicht kam ihm wage bekannt vor, doch ihm wollte nicht einfallen, wie der Mann hieß, der ihn so besorgt ansah. „Elec, wie geht es Euch?“, fragte der Unbekannte. Er wollte ihm antworten, doch er brachte keinen Laut über die Lippen. Sein Mund, sein Hals, selbst seine Lungen schmerzten von dem Versuch. Er musste husten. Der Mann half ihm, sich aufzurichten, dann führt er einen Trinkschlauch an Elecs Lippen. Gierig trank er. Das Wasser tat ihm gut. Der Name seines Gegenübers fiel ihm wieder ein. Es war Kahal, jener Wüstenmensch, der Mawen und ihn begleitet hatte. Wo war Mawen? Es gelang ihm, Kahal danach zu fragen. Das Gesicht des Angesprochenen verdüsterte sich, dann schüttelte er den Kopf. „Was ist das Letzte, woran Ihr Euch erinnert?“, fragte Kahal. Angestrengt dachte er nach, doch dann brachen die Bilder mit aller Macht über ihn herein. Der Sandsturm, Mawens Liebesgeständnis, der Augenblick, als ihm Mawens Hand entglitt. „Kahal, wir müssen ihn suchen. Er muss noch ganz in der Nähe sein.“
„Es tut mir leid. Es sind drei Tage vergangen, seit ich Euch fand. Ich habe die Umgebung gründlich abgesucht. Es hat keinen Zweck. Euer Freund lebt nicht mehr.“
„Nein. Das kann nicht sein. Ich muss ihn finden.“ Er versuchte auszustehen, doch seine Beine gaben nach.
„Ihr müsst Euch schonen, Ihr wart drei Tage bewusstlos. Ihr könnt nichts mehr für Mawen tun.“
Die Worte trafen ihn wie ein Faustschlag. Es gab keinen Grund, an den Worten des Wüstenmenschen zu zweifeln. Kraftlos ließ er sich auf den Rücken fallen. Warum war er nicht auch gestorben? Er hatte alles verloren. Er hatte den Menschen verloren, der ihm alles bedeutet hatte. Nicht einmal die Gelegenheit, Mawen seine Liebe zu offenbaren, hatten die Götter ihm gelassen. Er war gestorben, ohne die Gewissheit, dass seine Gefühle erwidert wurden. Das war nicht gerecht. Warum lebte er, während Mawen hatte sterben müssen? Der Gelehrte hatte sich ganz in den Dienst der göttlichen Mission gestellt, etwa nur um, kurz bevor er sein Ziel erreichen konnte, sein Leben zu verlieren. Wie konnten die Götter das zulassen? Wut stieg in ihm auf, so siedend heiß und übermächtig, dass kein Platz war für Gefühle wie Trauer und Schmerz. Doch der brodelnde Zorn wurde ihm zu Quelle der Kraft. Er schaffte es aufzustehen. Dann lief er los, in die Richtung, die er für Osten hielt. Kahal holte ihn ein und fragte: „Was habt Ihr vor?“
„Ich gehe nach Heet. Dies ist der Ort, wo die Entscheidung über Helwas Zukunft fallen wird, nicht in dieser Wüste. Ich werde hier nicht sterben, nur weil die Götter dies aus einer Laune heraus entscheiden. Ich werde nach Heet gehen und meinen Thron einfordern. Danach werde ich nach Cytria reisen. Mawen wird nicht umsonst gestorben sein. Helwa und Cytria werden wieder zusammenfinden, so wie er es sich gewünscht hätte. Mögen die Götter mit mir oder gegen mich sein, ich werde bis zu meinem letzten Atemzug dafür kämpfen.“
„Elec, ich glaube nicht, dass Ihr im Moment vernünftige Entscheidungen fällen könnt. Ihr seid ja völlig außer Euch.“
„Ich habe auch allen Grund dazu.“
„Dennoch wäre es besser, Ihr würdet Euch beruhigen. Ihr werdet nicht weit kommen, wenn Ihr nicht vorher etwas esst und trinkt und Euch ausruht. Außerdem lauft Ihr in die falsche Richtung. Das ist Norden und nicht Osten.“
Die Tatsache, dass er in seiner Raserei die Himmelrichtung falsch bestimmt hatte, ließ ihn innehalten. Kahal hatte recht. In seiner jetzigen Verfassung würde er es nicht bis Heet schaffen. Er dreht um und folgte ihm zurück zum Lagerplatz.
Jahr 3620 Mond 4 Tag 16
Zentralwüste
Seine Wut war verklungen und hatte Verzweiflung Platz gemacht. Trotzdem Kahal noch immer bei ihm war, fühlte er sich so einsam wie nie zuvor in seinem Leben. In den letzten Monden hatte sich Mawen unbemerkt zu einem unverzichtbaren Teil seines Lebens, ja gar seiner selbst, entwickelt. Nun, da er von ihm gegangen war,
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