Töchter der Sechs (German Edition)
Elec bei ihm bleiben würde, wenn er erfuhr, dass er ihn die ganze Zeit über belogen hatte. Sie waren so nah an der Erfüllung der Aufgabe, dass er es auf keinen Fall aufs Spiel setzen durfte. Er redete sich ein, das Richtige zu tun.
Jahr 3620 Mond 4 Tag 10
Zentralwüste
Als sie an ihrem dritten Morgen in der Wüste ihr Nachtlager abbrachen, trat Kahal auf sie zu und sprach: „Mein Weg endet hier, nun müsst ihr alleine weitergehen. Das Gebiet, in das ihr gehen werdet, ist meinem Volk so heilig, dass wir es niemals ohne die Erlaubnis der Götter betreten würden. Geht einfach weiter nach Osten, dann werdet ihr den Ort eurer Bestimmung innerhalb eines Tages erreicht haben.“ Er reichte jedem von ihnen ein Bündel mit Wasser und Proviant. „Lebt wohl. Mögt ihr stets unter dem Schutz der Götter wandeln.“
Ohne ihnen Zeit für eine Erwiderung und ein Lebwohl zu geben, drehte sich der Wüstenmensch um und schritt, das Rata hinter sich herführend, in westlicher Richtung davon.
Nun waren sie auf sich gestellt. Sie entschieden, dass es keinen Sinn hatte, den Aufbruch hinauszuzögern und liefen los, die Morgensonne im Rücken. „Wir werden es schaffen“, sagte Mawen, mehr um sich selbst, denn um Elec Mut zuzusprechen.
Die Sonne stand im Zenit, als der Wind schlagartig auffrischte. Sand wurde umhergewirbelt. Von einem Moment auf den anderen konnten sie so gut wie nichts mehr sehen. Ein Sandsturm. Sie hatten keine Möglichkeit, irgendwo Schutz zu suchen. Dicht nebeneinander kauerten sie sich einander zugewandt auf den Boden und versuchten sich so gut es ging, gegen den herumwirbelnden Sand zu schützen. Mawen hoffte auf ein schnelles Abflauen des Windes, doch der Sturm nahm an Stärke noch zu. Er griff nach Elecs Hand, um ihn in der Dunkelheit des Sturms nicht zu verlieren. Er versuchte, näher an ihn heranzukommen. Er brüllte: „Wir müssen aufstehen, bevor der Sand uns begräbt.“ Mühsam kamen sie wieder auf die Beine. Sie klammerten sich aneinander, doch Mawen spürte, wie der Wind sie immer wieder auseinanderzuziehen versuchte. Sie würden hier sterben und niemand konnte ihnen helfen. Der Sturm würde sie gleich erfassen und dann unter dem Sand begraben. Dies waren ihre letzten Sekunden. Noch einmal kämpfte er sich dicht an Elec heran. So laut er konnte, rief er: „Elec, ich liebe dich.“ Der Sturm riss ihm die Worte aus dem Mund. Er konnte sich nicht sicher sein, ob Elec sie vernommen hatte. Dann konnte er der Kraft des Sturms nichts mehr entgegensetzten. Er fiel und seine Hände lösten sich von Elecs. Er versuchte noch einmal, danach zu greifen, doch er verlor das Bewusstsein.
Als er erwachte, war es später Nachmittag. Mühsam befreite er sich aus dem Sand und kam auf die Beine. Gerne hätte er nach Elec gerufen, doch sein Mund war voller Sand. Verzweifelt suchte er die nähere Umgebung ab, doch nirgends konnte Spuren entdecken. Nicht dass es irgendeinen Unterschied gemacht hatte, er befand sich alleine und ohne Wasser und Nahrung in der Wüste. Innerhalb weniger Tage wäre er ohnehin tot. Wenn Elec im Sandsturm gestorben war, so war sein Tod wenigstens ein gnädiger gewesen. Mawen hingegen würde elendig verdursten und bis zu seinem letzten Atemzug daran denken müssen, dass er seine Liebe in den Tod geführt hatte. Wenn er Elec doch niemals begegnet wäre. Gerne hätte er bittere Tränen vergossen, doch dazu fehlte ihm die Kraft. Resigniert ließ er sich in den Sand fallen. Er würde einfach hier auf sein Ende warten. Der Himmel färbte sich rot im Licht der untergehenden Sonne. Doch was war das? Er glaubte, Umrisse eines Gebäudes am Horizont ausmachen zu können. War das real oder ein Trugbild. Er hatte nichts zu verlieren, daher lief er darauf zu. Vielleicht hatte Elec den Sturm doch überlebt und diesen Ort auch entdeckt. Es blieb eine kleine Hoffnung, ihn zu finden.
Wirklich, es war real. Er einiger Zeit hatte er eine Oase erreicht. Mehrere Bäume umstanden einen kleinen See, dessen Wasser vollkommen klar war. Doch da war noch mehr, hinter den Bäumen erhob sich die Ruine eines einst großen Gebäudes. Doch im Moment war dies nebensächlich. Er stillte seinen Durst und wusch sich den Sand aus dem Gesicht. Inzwischen war es dunkel geworden. Er konnte kaum noch etwas erkennen. Einige Male rief er Elecs Namen, dann legte er sic am Ufer nieder und schlief völlig entkräftet ein.
Er brauchte eine Weile, bis er wusste, wo er war. Als die Geschehnisse des vergangenen Tages
Weitere Kostenlose Bücher