Töchter der Sechs (German Edition)
einladen, sie dort zu besuchen.“
„Gerne nehme ich die Einladung an. Ich werde Euch nach Hause begleiten. Allerdings müsstet Ihr bis zum Abend warten, falls noch weitere potenzielle Lehrlinge auftauchen. Sagt, wie alt seid Ihr eigentlich?“
„Im Winter werde ich zehn Jahre alt.“
„Das ist wahrlich noch sehr jung. Für gewöhnlich beginnt die Lehre erst mit zwölf. Allerdings habt Ihr einen wesentlich reiferen Eindruck gemacht als so mancher Zwölfjähriger. Daher würde ich Euch gerne als Lehrling aufnehmen, sofern Eure Eltern wirklich einverstanden sind.“
„Habt Dank. Ihr ahnt nicht, wie viel mir das bedeutet.“
Jahr 3612 Mond 1
Roteha
Nachdem das Treffen des Gelehrten mit seinen Eltern zufriedenstellend verlaufen war, war Mawen am nächsten Morgen mit Taleb zusammen aufgebrochen. Zunächst waren sie noch zwölf Tage quer über Eiren gewandert, bevor sie sich nach Roteha eingeschifft hatten. Schon auf ihrer gemeinsamen Reise hatte seine Ausbildung begonnen. Nun war er seit drei Monden auf Roteha und jeden Tag begeistert von der Menge an Wissen, die an diesem Ort versammelt war.
Jahr 3612 Mond 12 Tag 21
Aaran
Weder Tharet noch Yerina hatten Zada in ihrer Entscheidung in irgendeiner Weise beeinflusst. Das Mädchen hatte sich aus freien Stücken für den Dienst im Tempel entschieden. Yerina hatte ihre Motive geprüft und war zu dem Schluss gekommen, dass sie eine geeignete Kandidatin war. Da sie viel Zeit mit Tharets Ziehtochter verbracht hatte, hatte sie ab deren achtem Lebensjahr ein starkes Interesse an religiösen und spirituellen Dingen feststellen können. Stets hatte das Mädchen interessiert zugehört, wenn Yerina von Zeremonien und dem Alltag im Tempelbezirk erzählte, auch hatte es immer wieder Fragen diesbezüglich gestellt. Im Alter von zehn hatte Zada erstmals davon gesprochen, dem Tempel beitreten zu wollen. Dennoch hatten Tharet und Galica dafür gesorgt, dass sie auch andere Möglichkeiten der Ausbildung in Betracht zog. Nach Abwägung aller Optionen hatte sich an dem Wunsch des Mädchens jedoch nichts geändert.
Heute, an ihrem zwölften Geburtstag, würde sie als Anwärterin in den Dienst des Tempels treten. Am Abend, vor Beginn der Zeremonie zur Wintersonnenwende, würde das Ritual vollzogen werden. Galica half ihrer Tochter gerade, die Sachen für ihren Umzug in den Tempelbezirk zusammenzupacken. Ihr fiel der Abschied von ihrer Tochter schwer. Zwar konnten sie und Tharet Zada regelmäßig im Tempelbezirk besuchen, aber das Haus würde sich seltsam leer anfühlen ohne sie. Ein letztes Mal setze sie sich zu ihrer Tochter aufs Bett, um ihr das Haar zu flechten. Obwohl sie es eigentlich hatte vermeiden wollen, rollten Tränen über ihre Wangen. Nur mühsam unterdrückte sie ein Schluchzen. Sie wollte nicht, dass Zadas Vorfreude auf den bevorstehenden Eintritt in den Tempel durch ihre Sentimentalitäten getrübt wurde. Schnell wischte sie mit dem Handrücken ihr Gesicht trocken. „Lass uns nach unten gehen und noch etwas essen, bevor wir zum Tempel aufbrechen.“
„Ja, Mutter.“ Bevor sie jedoch Zadas Schlafkammer verließen, schloss Galica ihr Kind noch mal fest in die Arme, löste sich aber schnell wieder von ihr, als ihre Gefühle sie erneut zu überwältigen drohten.
Jahr 3613 Mond 12 Tag 5
Jal
Wenn es ihre Art gewesen wäre, so hätte sie sicher vor Freude getanzt und gesungen, doch Darija war eher still und besonnen. Dennoch fiel sie ihrem Vater Aden voller Dankbarkeit um den Hals. Sie hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, doch ihm war es schlussendlich doch gelungen, einen Schiffbauer zu finden, der sie in Lehre nehmen wollte. Für gewöhnlich erlernten nur Jungen diesen Beruf und so war sie von mehreren angesehenen Schiffbauern abgewiesen worden. Nun war es Aden dank seiner guten Kontakte aber dennoch gelungen, ihr einen Ausbildungsplatz zu besorgen. Sie war ihrem Vater dankbar, dass er ihr ihren Traum ermöglicht hatte. Ihre Liebe zur Seefahrt hatte sie schließlich von ihm geerbt, ihr handwerkliches Geschick hingegen hatte sie wohl ihrer Mutter zu verdanken. Im Schiffbau ließen sich diese beiden Eigenschaften ideal verbinden. Schon als sie ein kleines Kind war, hatte sie ihren Vater immer wieder angebettelt, mit ihm das Auslaufen der Schiffe aus dem Hafen von Jal beobachten zu dürfen, später hatte sie ihn mit Fragen rund um die Konstruktion gelöchert. Sie fand es faszinierend, wie die großen, oft schwer beladenen Handelsschiffe so
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