Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
sich vor und zurück und klagt wie ein verwundetes Tier.
»Nein!« Rory kommt in einem prächtigen roten Kleid die Straße heruntergelaufen. Sie hat sich nicht einmal ihren Mantel übergeworfen. »Brenna!«
Doch da schießt auch schon Sachi hervor und zieht Rory in die Traube von Schaulustigen.
Bruder Ishida wendet sich an die versammelte Menge. »Miss Elliott denkt, sie könnte in die Zukunft sehen. Was für eine Anmaßung für eine schwache Frau, zu denken, sie könnte die Arbeit des Herrn tun! Auf Anweisung ihres Großvaters hatten wir ihr gestattet, wieder zu ihrer Familie zurückzukehren. Wir hatten gehofft, dass sie geheilt wäre, aber unsere Nachsicht mit ihr wurde nicht belohnt. Es ist zum Wohl unserer Gemeinde, dass wir diese klägliche Seele wieder zurück nach Harwood schicken.«
Ich mache auf dem Absatz kehrt und gehe wieder in den Laden. Ich ertrage es nicht, noch mehr zu sehen.
Finn folgt mir und schließt die Tür hinter uns. Er zieht mich hinter die erste Reihe von Bücherregalen und legt die Arme um mich. Ich weine nicht, aber ich zittere vor Entsetzen am ganzen Körper.
»Du bist in Sicherheit«, sagt er immer wieder und streichelt meinen Rücken. »Du bist in Sicherheit. Ich werde niemals zulassen, dass sie dir das antun.«
Ich weiß nicht, wen von uns beiden er damit mehr beruhigen will.
* * *
Es ist bereits weit nach zwei, als ich den Buchladen verlasse. Ich werde zu spät zu meiner Verabredung mit Elena kommen. Ich entschuldige mich bei John, dass ich ihn so lange mit der Kutsche habe warten lassen, und auf dem Weg nach Hause überdenke ich den Plan, den ich mit Marianne geschmiedet habe. Ich werde von Brennas Festnahme erzählen, und wie schrecklich es war. Es wird nicht schwierig sein, meine Bestürzung zu zeigen. Ich werde vorschieben, dass ich zu aufgebracht bin, heute noch Gedankenmagie zu praktizieren. Wie loyal auch immer Elena der Schwesternschaft gegenüber ist, sie kann nicht wollen, dass eine verängstigte, unkonzentrierte Hexe verheerenden Schaden an ihrem Gedächtnis verursacht. Ich werde ihr versprechen, dass ich mich morgen gleich nach der Kirche mit ihr zusammensetzen werde.
Doch bis dahin werde ich meine Verlobung mit Finn verkündet haben – dem neuen Kandidaten für die Bruderschaft , und es wird zu spät sein, mich zu zwingen, der Schwesternschaft beizutreten.
Wenn ich Elena wieder besänftigt habe, werde ich zu Maura und Tess gehen. Ich werde ihnen von der Prophezeiung erzählen, ihnen Mutters Tagebuch und den Brief zeigen. Sie werden wütend sein, weil ich es ihnen nicht schon eher erzählt habe, aber wenn sie Mutters Warnungen auf dem Papier sehen, werden sie es verstehen. Sie müssen es verstehen. Mir glaubt Maura vielleicht nicht, aber auf Mutter wird sie hören. Sie wird begreifen, dass den Schwestern eben nicht unser Bestes am Herzen liegt – dass wir, hier in Chatham, zusammenbleiben und aufeinander aufpassen müssen.
Von Finn werde ich ihnen zum Schluss erzählen. Ich hoffe, dass sie sich für mich freuen werden.
Als die Kutsche die Auffahrt hinauffährt, überkommt mich gute Laune. Das Haus steht immer noch da – weiß, mit dem Giebeldach, umgeben von Ahornbäumen, die ihre Sommerhäute abstoßen. Zuhause. Ich möchte die Erde küssen. Ich werde letztendlich doch nicht gehen müssen. Jedenfalls nicht weit weg.
Ich laufe in den Rosengarten, um mich bei Elena zu entschuldigen.
Nur ist sie nicht da.
Verflixt. Ich laufe ins Haus. Das Wohnzimmer ist leer. In Vaters Arbeitszimmer sitzt nur Tess und liest. Auch Elenas Zimmer ist leer. Da will ich einmal etwas von diesem Plagegeist, und prompt ist sie nicht aufzufinden.
Verärgert stoße ich, ohne anzuklopfen, Mauras Zimmertür auf.
»Maura, hast du – ?«
Erstaunt halte ich inne. Maura und Elena sitzen dicht beieinander auf der Fensterbank. Ihre Röcke fließen ineinander, Elenas rosaroter und Mauras cremefarbener, eine einzige Masse von Spitze und Seide.
Mauras Hand liegt auf Elenas Wange. Ihre Lippen auf Elenas.
Kapitel 19
Maura, ich muss mit dir reden«, stoße ich hervor, während ich auf den Flur zurückstolpere. Ich entschwinde in mein Zimmer und versuche zu begreifen, was ich gerade gesehen habe: meine Schwester, die die Gouvernante küsst. Sie mit geschlossenen Augen küsst und sich ihr entgegenstreckt, wie eine ausgehungerte Sonnenblume.
Ich hätte es mir niemals träumen lassen , aber Elena ist alles, was Maura gern wäre: kultiviert und klug, schön und mächtig. Sie schenkt Maura
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