Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
Herrn«, stimmt er an.
»Wir befreien unseren Geist und öffnen unsere Herzen für den Herrn«, echot die Gemeinde. Ich spreche die Worte zusammen mit allen anderen. Als wir klein waren, brachte Mutter uns bei, die Gebete vor dem Zubettgehen und den Mahlzeiten zu sprechen, aber es schien mehr eine Gewohnheitssache als wirklicher Glaube zu sein. Das bisschen Glaube, das ich in Gott gehabt hatte, ist zusammen mit Mutter gestorben.
»Gehet hin in Frieden und dienet dem Herrn«, singen die Brüder.
»Dank sei dem Herrn.«
Unsere Nachbarn verlassen gemächlich die Bänke, sie unterhalten sich und tauschen Neuigkeiten aus. Ich würde sie am liebsten alle zur Seite schubsen, ihnen meine Ellbogen in die weichen Bäuche rammen. Ich will nach Hause.
Stattdessen glätte ich meinen Rock und warte, bis ich an der Reihe bin.
Mrs Corbett ist an Vaters Seite und schwatzt schon wieder von der Gouvernante. Ich beobachte die beiden. Ich habe Mauras Vorhersage immer noch im Ohr. Das alte Weib versucht nicht wirklich, Vater in etwas Romantisches zu verwickeln, oder? Er ist sowieso viel zu selten zu Hause, um irgendjemandes Ehemann zu sein. Und wir brauchen – und wollen erst recht – keine neue Mutter.
Vater bringt ein Lächeln zustande. Früher hat er einmal gut ausgesehen, doch die ständige Trauer hat ihre Spuren hinterlassen. Sein blondes Haar ist von Silber durchzogen, und sein Gesicht hängt wie das eines Dachshundes. »Sie müssen dann später noch zum Abendessen vorbeikommen«, lädt er sie ein.
Sicherlich nur, um höflich zu sein.
Mrs Corbett lächelt. Zumindest denke ich, dass es ein Lächeln sein soll. Ihr Mund verzieht sich mehr zu einer grässlichen Fratze.
Da taucht Mrs Ishida am Ende unserer Kirchenbank auf. »Miss Cahill! Ich lade nächsten Mittwochnachmittag zum Tee ein und würde mich sehr freuen, wenn Sie kommen würden. Miss Maura natürlich auch.«
Mrs Ishidas Nachmittagstees sind die meistbegehrtesten Einladungen im Ort. Diese Ehre wurde uns noch nie zuteil. Mrs Corbett sieht abrupt auf, und ihre Zunge schnellt zwischen den Zähnen hervor wie bei einer Schlange, die die Luft prüft.
Ich falte die Hände und schaue sittsam auf den Holzboden. »Das ist sehr freundlich von Ihnen, an uns zu denken. Wir kommen gerne.«
»Wunderbar«, sagt Mrs Ishida. »Wir freuen uns, Sie am Mittwoch bei uns zu begrüßen.«
Woher kommt bloß dieses plötzliche Interesse an unserer Gesellschaft? Ich sehe zu Sachi hinüber. Sie und Rory haben flüsternd die Köpfe zusammengesteckt. Als sich unsere Blicke begegnen, sieht sie so schnell weg, dass beinahe Funken fliegen. Hat sie ihre Mutter etwa auf uns angesetzt?
»Es ist wichtig für junge Damen, in Gesellschaft zu sein. Zu Hause machen sie nicht die richtigen Bekanntschaften, wenn sie Cicero studieren«, flüstert Mrs Corbett. »Vielleicht kann Schwester Elena Ihnen helfen, selbst einen Tee zu organisieren. Sie sollten einen Nachmittag zu Hause geben.«
Oh nein. Sie hat vollkommen recht. Wenn wir anfangen, uns herumzutreiben, werden wir gezwungen sein, die Einladungen auch zu erwidern. Ich bin angeblich die Dame des Hauses, aber es wurde bisher noch nie von mir erwartet, mich auch so zu verhalten. Die Vorstellung, dass unsere Nachbarn rücksichtslos durch unser Haus laufen und ihre Nasen in unser Leben stecken, erschreckt mich. Ich weiß nicht, wie man Tee und Kekse serviert und höfliche Konversation betreibt. Als ich alt genug war, dass ich mit Mutter hätte Besuche abstatten können, war sie bereits zu krank, und dann waren wir ein Jahr in Trauer. Worüber unterhalten sich Menschen unseres Standes? Mit Sicherheit nicht über Bücher über Magie und griechische Mythologie. Und wahrscheinlich auch nicht übers Gärtnern.
Ich gebe es zwar nur ungern zu, aber diese Gouvernante könnte vielleicht tatsächlich ganz nützlich sein.
* * *
EndlichkommenwirimGedrängevoran.AlswirdieKircheverlassen,jagenweißeSchäfchenwolkenüberdenstrahlendblauenHimmel.DieZweigeschwingenimWindundlassenihreBlätterpirouettenartigzuBodenfallen.RechtsundlinksdesWegesblühenweißeChrysanthemen. Die Erde müsste mal wieder von Unkraut befreit werden.
Der Marktplatz wird dominiert von der Kirche mit ihrer weißen Turmspitze. Die Zelle im Keller und das Ratszimmer der Bruderschaft dienen als Gefängnis und Gericht. Ganz Chatham dehnt sich von hier aus: die Lebensmittelgeschäfte, der Schreibwarenladen, die Chocolaterie, Belastras Buchhandlung, der Laden der Schneiderin, die Apotheke, der
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