Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
nicht für die Freiheit der arabischen Mädchen geben. Es ist ihnen erlaubt, Besitztümer zu erben und zur Universität zu gehen; sie haben sogar das Recht, zu wählen. Aber ich habe noch nie davon gehört, dass dort Hexen leben. Ich höre überhaupt von keinerlei Hexen irgendwo. Es scheint, dass die meisten Hexen der Welt mit der Aussicht auf Freiheit nach Neuengland gekommen sind – und innerhalb von ein paar Jahrzehnten alle hingerichtet wurden.
Aber auch wenn es Hexen erlaubt wäre, anderswo frei zu leben, gäbe es für uns keine Möglichkeit, Neuengland zu verlassen. Sogar die Mädchen in den spanischen Kolonien im Süden haben mehr Freiheiten, aber die Grenzen dorthin sind geschlossen. Alle Grenzen sind geschlossen, nur für offizielle Angelegenheiten und den Handel der Bruderschaft sind sie offen. Und blinde Passagiere werden genauso hart bestraft wie Hexen.
Weglaufen ist daher unmöglich. Wir müssen hierbleiben und hier unsere Probleme lösen. Ich greife in meine Tasche, und meine Finger streifen über den zerknitterten Brief von Z.R.. Es ist jetzt fast eine Woche her, seit ich die Nachricht erhalten habe, aber ich bin noch kein Stück weitergekommen, was ihre Identität angeht. Ich habe auch Mutters Tagebuch noch nicht gefunden, und in all ihren Briefen wird keine Person erwähnt, deren Name mit einem Z beginnt.
Wer ist diese Z.R.? Und vor was für einer Gefahr will sie mich warnen?
Alle aus Chatham und den angrenzenden Bauernhöfen sind hier, hineingestopft in die hölzerne Kirche. Der Besuch des Gottesdienstes ist Pflicht, mit Ausnahme für die Schwerkranken. Sogar als klar war, dass Mutter im Sterben lag – und auch nach ihrem Tod, als wir in tiefer Trauer waren –, wurde uns keine Gnade gewährt. Bruder Ishida ermahnte uns, unser Leid dem Herrn zu opfern. Er versprach, dass es sich als größter Trost erweisen würde. Ich habe darin nicht so viel Wahrheit erkennen können.
Ich lasse den Blick über meine Nachbarn schweifen. Die Brüder sitzen geschlossen in den ersten zwei Reihen. Auf den Ehrenplätzen hinter ihnen sitzen ihre Familien. Es heißt, wir sollen weltliche Laster wie Stolz und Neid meiden, aber mit einem der Brüder verheiratet zu sein, bringt doch ein gewisses Prestige mit sich. Ihre Ehefrauen haben zwar immer demütig die Augen niedergeschlagen, aber sie sind durchaus gut gekleidet. Ihre weiten Glockenröcke schwingen, und ihre Unterröcke rascheln, wenn sie sich bewegen. Auf ihren Schultern ragen Puffärmel empor – wie Wachen, die ihre Gedanken beschützen, damit sich auch ja nichts Beschämendes einschleichen kann. Und ihre Töchter! Sie sind Gemälde übertriebener Mädchenhaftigkeit in leuchtendem Gelb und Violett, Rosa und Smaragd, und sie tragen ihre Haare im neuen Pompadourstil aufgetürmt statt in einfachen Nackenknoten, wie meine Schwestern und ich es bevorzugen.
Ein halb unterdrücktes Kichern weckt meine Aufmerksamkeit. Bruder Malcolm unterbricht seine Predigt über Nächstenliebe und runzelt die Stirn, als er bemerkt, dass offenbar nicht alle vollkommen in seinen Vortrag vertieft sind.
Es ist Rory Elliott. Sie scheint sich über all das Interesse, das ihr zuteil wird, zu freuen, und wirft ihr langes schwarzes Haar zurück. Dann senkt sie sittsam den Blick, ihre Wangen werden genauso rosa wie ihr Kleid, und sie rückt näher an Nils Winfield heran. Man sieht ihr ihr skandalöses Verhalten nach, weil sie mit Nils verlobt ist, dem Sohn von Bruder Winfield.
Die Leute wenden ihre Blicke wieder von ihr ab, als Bruder Malcolm fortfährt. Der Herr … irgendwas. Ich beobachte Rory weiter. Sachi Ishida boxt ihr den Ellbogen in die Rippen, woraufhin Rory mit den Lippen ein undamenhaftes Wort formt, aber sittsam die Hände im Schoß faltet. Sie setzt sich aufrecht hin und widmet sich wieder voll und ganz Bruder Malcolms Sermon. Als Sachi zufrieden lächelt, frage ich mich – nicht zum ersten Mal –, warum der Liebling des Ortes sich mit so einem Mädchen abgibt. Rorys Mutter verlässt nie das Haus. Es heißt, sie ist Alkoholikerin und weiß noch nicht einmal, wer Rorys wirklicher Vater ist. Ihr Mann, Jack Elliott, hat Rory seinen Namen gegeben, aber seit er bei diesem Unfall mit der Kutsche ums Leben gekommen ist, wollen die Elliotts nichts mehr mit Rory oder ihrer Mutter zu tun haben.
Sachi ertappt mich dabei, wie ich sie anstarre. Ich sehe wieder zur Kanzel, wo Bruder Malcolm gerade seine Predigt beendet.
»Wir befreien unseren Geist und öffnen unsere Herzen für den
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