Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
Schlachter, die Bäckerei, ein paar Dutzend Häuser. Der Großteil von Chathams Bevölkerung lebt auf Bauernhöfen außerhalb des Ortes, wo sie Kartoffeln und Mais anbauen, Hafer und Weizen, Äpfel und Heidelbeeren.
Vater ist den schrecklichen Klauen von Mrs Corbett schließlich entkommen und unterhält sich gerade mit Marianne Belastra, der Mutter von Finn. Sie ist dünn, hat graue Strähnen in ihrem rostbraunen Haar und Finns Sommersprossen – oder wahrscheinlich ist es eher andersherum. Neben ihr steht Finn, der Vater begeistert zuhört und nickt. Seine Schwester, Clara, zieht ihn am Jackenärmel. Sie ist so alt wie Tess, aber groß und schlaksig, mit riesigen Händen und Füßen, die im Gegensatz zu ihrem restlichen Körper unproportional wirken. Ihr Rock ist zu kurz; ihr Unterrock blitzt darunter hervor.
»Guten Tag, Miss Cahill«, höre ich hinter mir jemanden sagen.
Ich drehe mich um. Es ist Jahre her, dass ich seine tiefe Stimme vernommen habe, aber ich würde sie überall wiedererkennen.
Wie um alles in der Welt habe ich ihn in der Kirche übersehen können? Er muss in letzter Sekunde hereingeschlüpft sein und hinter uns gesessen haben.
Ich wusste, dass Paul bald wieder zu Hause sein würde; jeder in der Stadt weiß es. Mrs McLeod hat seit Wochen von nichts anderem gesprochen. Wahrscheinlich ist er ein paar Tage früher gekommen, um sie zu überraschen. Trotzdem kann ich nicht anders, als ihn anzustarren. Er sieht so viel älter aus. Er ist jetzt ein Mann von neunzehn Jahren, kein fünfzehnjähriger Junge mehr. Er ist größer geworden – ich reiche ihm kaum bis zur Nase –, und er trägt einen kurzen Vollbart, der eine Nuance dunkler ist als sein blondes Haar. In seinem Gehrock sieht er aus wie ein richtiger Herr, wie er da so ganz gelassen unter einem Ahornbaum herumsteht.
»Mr McLeod, endlich wieder zu Hause. Wie geht es?« Ich mache einen Knicks und wünschte, ich würde ein schöneres Kleid tragen. Apfelgrün steht Maura sehr gut, aber mir schmeichelt es nicht gerade. Warum bloß habe ich nicht das malvenfarbene Brokatkleid angezogen?
»Ganz gut, danke, und selbst?« Er wiegt sich von einem Fuß auf den anderen. Ist er etwa genauso nervös wie ich? Während er mich mit seinen grünen Augen aufmerksam anschaut, werde ich unter seinem prüfenden Blick ganz rot.
»Sehr gut.« Ich bin immer noch sauer auf ihn.
»Mutter und ich wollen los. Können wir Sie nach Hause bringen?«
Oh. Kein Herr hat mir jemals zuvor angeboten, mich nach Hause zu bringen. Ich sollte hocherfreut sein. Wie Maura es so schön auf den Punkt gebracht hat, ist Paul meine beste Gelegenheit, einen Ehemann zu finden. Wenn ich mich nicht bald verlobe, wird Vater die Sache in die Hand nehmen – oder noch schlimmer, die Bruderschaft wird für mich wählen. Sie könnten irgendjemanden aussuchen – einen einsamen Witwer oder einen frommen Mann, der im Begriff ist, der Bruderschaft beizutreten. Und ich hätte dabei kein Wort mitzureden.
Trotzdem, Paul ist noch nicht einmal zu Mutters Beerdigung nach Hause gekommen. Und Mädchen ist es zwar nicht erlaubt, Briefe von Männern zu empfangen, wenn sie nicht mit ihnen verlobt sind, aber wenn er es gewollt hätte, hätte er mir sicherlich einen Brief schreiben können, statt diesem trockenen kurzen Kondolenzbrief, den er Vater geschickt hat. Wenn er an mich gedacht hätte – mich auch nur ein bisschen vermisst hätte – , hätte er mir geschrieben. Wir waren die besten Freunde, bis zu dem Tag, an dem er wegging. Dieser Mann, der hier vor mir steht, ist ein Fremder.
Und ich bin nicht mehr die sorglose Cate, die er zurückgelassen hat. Jetzt, wo ich ihn wiedersehe , vermisse ich dieses Mädchen. Sie wusste damals gar nicht, wie viel sie zu verlieren hatte. Sie lachte mehr und machte sich viel weniger Sorgen.
»Ich sage eben meinen Schwestern Bescheid«, antworte ich schließlich.
Maura begrüßt Paul begeistert, während Tess schüchtern lächelt. Als ich sage, dass die McLeods mich nach Hause fahren, blitzt Maura mich böse an, weil sie und Tess nun allein dem langweiligen, höflichen Gerede unserer Nachbarn ausgesetzt sind. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Vielleicht kann sie ja jetzt die Freundschaften schließen, nach denen sie sich schon so lange sehnt.
Paul hilft mir hinauf in die Kutsche der McLeods, und ich setze mich neben seine Mutter auf die lederne Sitzbank, während Paul uns gegenüber Platz nimmt. Mrs McLeod zittert und legt nervös eine Decke über ihren
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