Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
mädchenhaft ich mich verhalten hatte. Noch Monate später hat er bei jeder Gelegenheit so getan, als würde er in Ohnmacht fallen.
Damals muss ich ungefähr zehn gewesen sein. Mutter erholte sich gerade von ihrer dritten Fehlgeburt – Edward Aaron. Mrs O’Hare bestand darauf, mich zu säubern und meinen Knöchel zu verbinden, bevor ich in Mutters Zimmer ging. Ich kann mich noch an ihr blasses, erschöpftes Gesicht erinnern und die dunklen Ringe unter ihren geschwollenen Augen. Sie sagte, ich müsste bald anfangen, mich wie eine Dame zu benehmen, und als ich ihr daraufhin die Zunge herausstreckte, lachte sie.
Die Kutsche hält vor unserem Haus, und Paul springt ab. »Ich bin sofort wieder da, Mutter«, sagt er, hilft mir hinunter und legt meine Hand in seine Armbeuge.
Vor unserer Haustür bleibt er stehen und schaut mich ernst an. »Cate, es hat mir so leidgetan, als ich das mit deiner Mutter erfahren habe. Sie war eine wunderbare Frau«, sagt er.
»Danke.« Ich starre auf das Beet mit den Schwarzäugigen Susannen. »Wir wussten deinen Beileidsbrief zu schätzen.«
»Es war aber nicht genug. Ich wollte nach Hause kommen, aber es war der Anfang des Semesters – «
Ja, es war zeitlich natürlich absolut unpassend. Der Tod meiner Mutter war für ihn nicht Grund genug, ein paar Vorlesungen zu verpassen. Ganz gleichgültig, dass meine Mutter ihm immer Süßigkeiten zusteckte, die seine Mutter ihm verboten hatte. Wenn es ihr gut genug ging, um hinauszugehen, hat er für sie Räder im Garten geschlagen, um sie aufzuheitern. Und wenn es ihr nicht gut genug ging, um das Bett zu verlassen, schnitt er ihr Grimassen durchs Fenster. Er war mein bester Freund, und er ist genauso mit ihr aufgewachsen wie ich, aber er hat es nicht für nötig gehalten, wenigstens eine Woche nach Hause zu kommen.
»Du hättest es gar nicht rechtzeitig zum Trauergottesdienst schaffen können. Ich weiß. Ist schon in Ordnung«, sage ich. Aber ich sehe ihn dabei nicht an, und meine Beteuerung klingt halbherzig. Ob er es merkt?
»Nein, es ist nicht in Ordnung. Ich wollte hier sein für deine Familie – für dich –, aber – « Ich sehe auf, als er ins Straucheln gerät, und er beugt sich zu mir vor. Er riecht würzig wie Kiefernnadeln. »Ich konnte nicht kommen. Ich konnte es mir nicht leisten. Finanziell, meine ich. Ich war damals zu stolz, es zu schreiben, und meine Mutter würde mich umbringen, wenn sie erfährt, dass ich es dir erzählt habe. Das Geld war einfach sehr knapp.«
»Oh«, sage ich und komme mir blöd dabei vor. Ich musste mir noch nie Sorgen um Geld machen, nicht mal für eine Minute. Ich habe es immer als selbstverständlich angesehen, dass unser guter Name alles ist, was ich brauche.
»Du hast dich sicherlich gefragt, warum ich in den Ferien nie nach Hause gekommen bin.« Er schenkt mir ein komisches Lächeln, als ob er hofft, dass ich mich das tatsächlich gefragt habe.
»Deine Mutter hat allen erzählt, du wärst mit deinen Cousins in Providence gewesen.« Ich hatte angenommen, dass er in der Stadt neue Freunde gefunden und mich vergessen hatte.
»Ich konnte mir noch nicht einmal das leisten. Ich wäre zugrunde gegangen, wenn Jones mich nicht bei sich hätte wohnen lassen. Ich schulde ihm eine Menge.«
Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen wegen all meiner lieblosen Gedanken. »Du hättest es mir sagen sollen. Du hättest schreiben können.«
»Ich wollte es ja.« Paul lächelt. »Ich wollte dir alles sagen. Aber dass dein Vater meinen Brief zuerst lesen würde, war eine weniger verlockende Vorstellung.«
»Als wenn du nicht um Vater herumgekommen wärst«, schnaube ich beleidigt.
Paul schmunzelt und kommt näher – viel näher als angemessen wäre. Es sind nur noch Zentimeter, die uns trennen; ich kann die Wärme seines Körpers spüren, der beinahe meinen berührt. »Ich habe dich vermisst.«
Ich habe ihn auch vermisst. Aber unsere Freundschaft musste sich doch zwangsläufig verändern, als wir älter wurden, und vielleicht war die erzwungene Trennung ja das Beste. Als Mutter gestorben war und Maura verrücktspielte, war es schon schwierig genug, unsere magischen Kräfte geheim zu halten. Es auch noch vor Paul zu verbergen, wäre so gut wie unmöglich gewesen.
»Kannst du mir verzeihen? Du musst sehr böse auf mich gewesen sein.«
Ich ziehe den Kopf ein. »Nein, ich – «
»Ich kenne dich doch. Na los. Du warst fuchsteufelswild?«
Ich grinse wie blöd. »Wie ein ganzes Rudel Füchse. Es – es hat
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