Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
schaue hinunter in den Garten auf die Statue der Athene, wie sie da so im Mondlicht steht. Die Göttin der Weisheit und des Kampfes.
Mutter hat nicht geglaubt, dass Vater für uns kämpfen würde. Aber um ehrlich zu sein, hat sie es selbst auch nicht viel besser gemacht. Sie hat mich mit einem Tagebuch voller mysteriöser Warnungen zurückgelassen und mit einer Verantwortung, die eigentlich ihre gewesen wäre.
Doch ich werde meine Schwestern beschützen. Was auch immer Mutters Freundin Zara zugestoßen ist, was auch immer mit Brenna Elliott geschehen ist, ich werde nicht zulassen, dass es Maura und Tess passiert. Im Leben nicht.
Kapitel 6
Bloß mit Unterkleid und Korsett bekleidet, stehe ich auf dem kleinen Podest im Hinterzimmer von Mrs Kosmoskis Kleiderladen, und alle schauen mich an, als wäre ich ein Stück Vieh auf dem Markt.
»Zu dünn«, sagt Mrs Kosmoski und schnalzt missbilligend mit der Zunge.
»Das kann behoben werden«, behauptet Elena. »Wir werden ihr etwas Kurven geben. Ein bisschen Füllung am Busen und hinten vielleicht eine Turnüre?«
Mrs Kosmoski nickt. »Das bedeutet natürlich mehr Arbeit. Ich werde meine beiden Näherinnen die ganze Nacht arbeiten lassen müssen.«
»Alles, was sie brauchen«, verspricht Elena. »Solange sie bis nächsten Mittwoch fertig sind. Die Mädchen können morgens noch einmal für die letzten Änderungen vorbeikommen. Diese Einladung zum Tee ist so etwas wie ihre offizielle Einführung in die Gesellschaft. So wie sie jetzt aussehen, können sie da nicht hingehen.«
MrsKosmoskibetrachtetMaurashochgeschlossenes,grüngemustertesMusselinkleid.»InderTat«,stimmtsietrockenzu.SiehatdieletztenJahreschonimmerEinwändegegenmeineBestellungengehabtundhellereFarben,lebendigereMusterundeineaktuellereModevorgeschlagen.UndichhabeihrenRatimmerentschlossenzurückgewiesen – bisjetzt,daichkeineandereWahlmehrhabe.
Elena hat Vater überzeugt, etwas Geld lockerzumachen; wir drei bekommen eine neue Garderobe. Sie hat all unsere alten Sachen als furchtbar altmodisch und überholt befunden. Tess freut sich auf die Aussicht, längere, erwachsenere Kleider tragen zu dürfen. Ich bin die Einzige, die nicht gut gelaunt ist.
Ich bin zu sehr damit beschäftigt, darüber nachzugrübeln, ob ich wirklich die mächtigste Hexe seit Jahrhunderten sein könnte.
Elena umkreist mich. »Aber was für eine Taille. Fünfzig Zentimeter, Cate?«
Ich nicke, und sie gibt ein leises, wenig damenhaftes Pfeifen von sich. »Die meisten Mädchen würden dafür töten.«
Maura schaut mich böse von der anderen Seite des Zimmers an. Sie hat ihr Korsett noch nie enger als bis auf sechzig Zentimeter schnüren können – sehr zu ihrem Verdruss.
»Wenigstens brauche ich keinen ausgestopften Hintern!«, murmelt sie.
Tess kichert hinter vorgehaltener Hand.
Mrs Kosmoski presst die Lippen zusammen. Dafür, dass sie den ganzen Tag mit den Kleidern und Formen von Frauen arbeitet, ist sie ganz schön prüde.
»Maura!« Elena berührt eine von den perfekten schwarzen Locken, die ihr perfektes herzförmiges Gesicht umrahmen. »Bitte. Solche undamenhaften Wörter benutzen wir nicht.«
Mrs Kosmoski misst mich ab. Sie ist eine große Frau mit einem schwanenhaften Hals, auf dem ein Kopf voller dichter, dunkler Haare sitzt. Ihre Perlenohrringe schwingen vor und zurück, während sie sich mit Elena unterhält.
Ich lasse mich von ihr stoßen und stupsen und beobachte währenddessen meine Schwestern, die auf dem rosafarbenen Sofa zusammen tuscheln. Tess blättert in einem Musterbuch und macht sich über die seltsamen Moden aus Mexiko City lustig, wobei das Grübchen in ihrer linken Wange zum Vorschein kommt.
Der Kleiderladen soll eine Oase der Frauen sein, und eigentlich sollte ich mich hier geborgen fühlen, aber alles von der Rosenknospentapete bis zu dem rosafarbenen Sofa macht mich nervös. Überall stehen Rosensträuße herum und schwängern die Luft mit ihrem süßlichen Duft. Ich finde es kitschig und bedrückend, aber Maura liebt es. Sie ist ganz außer sich vor Freude, wie ein Kind beim Chocolatier.
Elena fördert es noch. Und Mrs Kosmoski nimmt jedes Wort von Elena für bare Münze und ist begierig, zu hören, was die Damen in den Straßen New Londons tragen. Sollten die Schwestern nicht auf Sünden wie Eitelkeit und Stolz verzichten? Elenas Gefallen an Mode fällt sicherlich in eine der beiden Kategorien. Heute trägt sie ein prachtvolles pfirsichfarbenes Seidenkleid, das Maura immer wieder anfasst, um
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