Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
anders Brenna so reden hören würde, würde sie direkt zurück nach Harwood geschickt werden.
»Für mich ist es zu spät.« Brenna lässt sich gegen das Tor fallen, ihr Gesicht ist von den verfilzten Haaren bedeckt. »Geht jetzt. Ich bin sehr müde, und ich muss meinen Großvater besuchen.«
Tess lässt ihre Hand in meine gleiten, und wir drehen uns um und gehen weiter die Straße hinunter, wo Maura und Elena bereits vor dem Schreibwarenladen auf uns warten.
»Was um alles in der Welt war denn da los?«, fragt Maura.
Ich zucke mit den Schultern und ignoriere Tess’ Blick. »Himmel, keine Ahnung. Sie ist verrückt, oder?«
Wieder zu Hause, tausche ich meine schönen geknöpften Stiefel gegen alte, matschbespritzte und gehe hinaus in den Garten. Die Sonne ist hinter den Wolken verschwunden. Es regnet nicht, aber es sieht bedrohlich danach aus. Ich hoffe, dass der Regen noch etwas auf sich warten lässt. Ich brauche etwas Aufheiterung, und ich bin immer am glücklichsten, wenn ich die Hände in die Erde stecken kann.
Mit großen Schritten gehe ich in den Rosengarten – nur ist der bereits belegt. Finn Belastra sitzt auf der Bank – meiner Bank – unter der Statue der Athene. Er hat ein Buch offen auf seinem Schoß liegen und mampft einen Apfel.
»Was machen Sie hier?«, frage ich verärgert. Finn ist vielleicht schön anzusehen, aber ich brauche jetzt ein paar Stunden allein mit den Rosen und meinen Gedanken.
Er springt auf. »Ich habe nur« – er kaut heftig – »gerade mittaggegessen. Störe ich? Ich kann auch woanders hingehen.«
»Ja.« Es hört sich furchtbar an, sogar in meinen Ohren. Ich seufze. »Nein. Ich wollte nur ein bisschen Unkraut jäten. Ich komme später wieder.«
»Oh.« Finn sieht auf das Gewirr von roten und rosafarbenen Teerosen. »Das müssen Sie nicht tun. Ich habe die ganze Zeit am Pavillon gearbeitet, aber ich kann mir Zeit dafür – «
»Nein, ich mache das gern«, unterbreche ich ihn. »Ich möchte es selbst machen.«
Finn grinst schelmisch, wobei seine Zahnlücke zum Vorschein kommt. »Ah, dann sind Sie also meine Elfe.«
»Entschuldigung?« Ich streiche mir eine Haarsträhne zurück unter die Kapuze.
»Miristaufgefallen,dassjemandUnkrautgejätetundBlumenzwiebelngepflanzthat.Ichdachte,SiehätteneineGartenelfe.Ichhabesiemirkleinvorgestellt.Undgrün.Siesindschöner.«Erwirdrotunter seinen Sommersprossen.
»Oh, danke«, lache ich. Ich hatte Finn Belastra bisher nicht für besonders fantasievoll gehalten. Er schien mir immer so ernst zu sein.
»Ich hätte es mir natürlich denken können«, sagt Finn. »Ihr Vater hat erwähnt, dass eine von Ihnen einen grünen Daumen hat.«
»Hat er das?« Das ist nun schon das zweite Mal. Vielleicht ist Vater doch aufmerksamer, als ich es ihm zugestanden habe. Ich weiß nicht so genau, ob ich mich darüber freuen oder deswegen beunruhigt sein sollte. Offen gestanden haben wir bisher immer auf seine Selbstvergessenheit gezählt. »Ja, das wäre dann wohl ich. Gärtnern hilft mir, einen klaren Kopf zu bekommen.«
»Nun, Sie brauchen nicht später wiederzukommen. Sie können hier gern etwas nachdenken. Ich lese mein Buch woanders zu Ende.«
Die goldene Schrift auf dem Buch in seiner Hand weckt meine Aufmerksamkeit. »Warten Sie. Geschichten vom Piraten LeFevre? «
»Auch ein Gelehrter braucht Freizeitlektüre, Miss Cahill. Kennen Sie die schauderhaften Abenteuer von Marius, dem Piraten? Sie sind sehr unterhaltsam.«
»Ich ziehe die Geschichten von seiner Schwester Arabella vor«, platze ich heraus, bevor ich darüber nachdenken kann. Ich kann nicht glauben, dass Finn Belastra Piratengeschichten liest. Ich hätte gedacht, dass er sich durch unverständliche deutsche Philosophie mühen würde.
Finn senkt seine Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. »Arabella war meine erste literarische Verliebtheit. Ich war furchtbar vernarrt in sie.«
Ich quietsche. »Ich wollte immer wie sie sein! Können Sie sich daran erinnern, wie sie Marius bei dem Schiffsbruch gerettet hat? Und als sie gefangen genommen wurde, ist sie lieber über die Planke gegangen, als ihre Tugend diesem schrecklichen Kapitän zu opfern. Und als sie Marius’ Kleider getragen hat und das Duell mit – « Ich ertappe mich dabei, wie ich wild gestikulierend mit einem imaginären Degen in der Luft herumfuchtele.
»Mit Perry, dem Soldaten, der den Piraten vorgeworfen hat, keinen Ehrenkodex zu haben?«, beendet Finn meinen Satz. »Das war eine tolle Geschichte.«
»Sie hat
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