Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
Wasserfarben, der Bibel und Französisch beschäftigen«, sagt Tess verärgert.
»Mit Französisch bestimmt nicht. Jetzt, da die französischen Damen wählen dürfen, ist das Unterrichten der Sprache verboten, damit unsere leicht zu beeindruckenden Mädchen dadurch nicht den Zugang zur Unsittlichkeit finden.« Finns Mundwinkel zucken, als ob er lachen wollte. »Brennan, ein weiteres Mitglied des Höchsten Rats, bekämpft O’Shea. Er ist einer von den Guten. Hat selbst drei Töchter, vermutlich macht das schon einen Unterschied.«
»Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass irgendein Mitglied der Bruderschaft gut sein soll«, grummle ich. Finn zuckt zusammen und rückt ein Stück von mir ab. Ich wünschte, ich könnte die Worte wieder zurücknehmen. Was ist heute nur los mit mir? »Tut mir leid. Ich meinte natürlich nicht dich. Ich weiß, dass du nicht da sein willst.«
»Ich bin sicherlich nicht der Erste, der der Bruderschaft beigetreten ist, um seine Familie zu beschützen.« Finn blickt auf den geprägten Silberring an seinem rechten Ringfinger. »Es ist eben leichter, nichts zu sagen, als sich dem Risiko auszusetzen, dass die eigene Rechtschaffenheit angezweifelt wird – die Hingabe an die Bruderschaft und an den Herrn.«
»Das ist feige. Wenn es so viele wären, wie du sagst, könnten sie die Dinge verändern, indem sie dagegen aufbegehren!«, fauche ich. Ein paar Meter weiter sitzen zwei Mädchen mit Pferdeschwänzen auf einer Bank und spielen mit Puppen, während ihre Mutter einen Kinderwagen um den Ententeich schiebt.
»Dann bin auch ich feige. Ich war dabei, als die neuen Gesetze diskutiert wurden. Ich habe zwar bislang kein Stimmrecht, aber ich hätte trotzdem dagegen argumentieren können. Vielleicht hätte ich etwas ändern können.« Finns Stimme ist voller Selbstverachtung.
»Nein. Du durftest es nicht riskieren, Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen! Das ist etwas anderes«, erkläre ich und lege meine Hand auf die seine. Ich denke noch nicht einmal daran, wer es sehen könnte – ich will ihn einfach nur trösten und meine unüberlegten Worte wieder gutmachen.
Finn zieht seine Hand weg. »Es ist nichts anderes. Diese Männer sind genauso Ehemänner und Väter und Brüder. Ich glaube, es wird eine Zeit kommen, da sie aufbegehren werden.«
»Das ist großartig, aber wie schlimm muss es denn noch für uns kommen, ehe sie sich erheben?« Ich rücke auf dem kalten Marmor ein Stück von ihm ab. »Was muss denn noch passieren? Die Brüder ermorden unschuldige Mädchen, während wir uns hier unterhalten!«
»Und was tust du dagegen?« Die Frage trifft mich wie eine Ohrfeige – ein Echo der Kritik von Maura. »Du bist mächtig, Cate. Die ganze Schwesternschaft zusammengenommen muss unglaublich stark sein, und trotzdem wartest du einfach bloß ab. Ich mache dir gar keinen Vorwurf, aber …«
»Das hört sich aber ganz so an. Was sollen wir denn tun, ohne uns zu verraten?«, frage ich. »Es ist nicht so einfach, wie bloß den Mund aufzumachen. Nicht für uns Frauen.«
Finn runzelt die Stirn. »Das weiß ich. Weiß Gott, ich will ja auch nicht, dass du dich in Gefahr begibst – aber wenn alle so denken, wie sollen wir dann jemals vorwärtskommen?«
Schwermütig schweigend sehen wir uns an. Es ist unser erster … Es ist kein wirklicher Streit. Aber es ist das erste Mal, dass wir uns in einer Sache so uneinig sind. Ist es tatsächlich an der Zeit, dass ich etwas tue? Es ist einfach, die Schuld alleine auf die abscheuliche Politik der Brüder zu schieben. Doch wenn ich vernünftig darüber nachdenke, weiß ich, dass Finn recht hat. Die Bruderschaft kann nicht nur aus widerwärtigen, kriecherischen Scheinheiligen wie Bruder Ishida bestehen, der seine eigenen Töchter verleugnet. Aber ich weiß nicht, wie ich den Gedanken mit der Angst, die ich mein ganzes Leben schon vor der Bruderschaft hatte, in Einklang bringen soll.
Denken die Menschen vielleicht auch so, was uns Hexen angeht?
Da steht Tess plötzlich auf und sieht sich um. »Was ist das für ein Lärm?«
Ich war so in unsere Diskussion vertieft, dass es mir gar nicht aufgefallen ist, aber jetzt höre auch ich das Rufen vom Richmond Square, das immer wieder ertönende Brüllen vieler Stimmen im Chor.
Ich kann die Worte nicht verstehen, aber wenn sich eine Menschenmenge versammelt, kann das für Mädchen wie uns nichts Gutes bedeuten.
Tess läuft bereits über den matschigen Weg zum Parkeingang.
»Tess, warte!«, rufe ich und eile hinter ihr
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