Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
Wasser zu hören sind.
Eine Straße vom Kloster entfernt bleibt Finn stehen. »Kannst du uns kurz alleine lassen?«, frage ich Tess.
Sie nickt. »Danke, dass du unsere Ehre verteidigt hast, Finn.«
»Ja, ich war wohl eine große Hilfe«, murmelt er.
»Du warst großartig«, erklärt Tess und berührt ihn am Arm. Dann geht sie taktvoll ein paar Schritte weiter und spielt mit den Stechpalmenblättern, die über die Pforte unserer Nachbarn ragen.
»Es tut mir leid, dass ich nicht auf dich gehört habe, als du sagtest, wir sollten besser gehen. Bist du sehr böse auf mich?« Ich berühre ihn an der Wange und zucke vor Mitleid zusammen.
Finn schüttelt den Kopf. Er sieht mich nicht direkt an, als er antwortet. »Es war nicht das erste Mal, dass ich in einem Kampf geschlagen wurde, aber ich wünschte, du hättest es nicht mit ansehen müssen.«
Oh. Finn scheint mir immer so selbstsicher und schlau zu sein. Dabei war der Junge, den ich als Kind kannte, vollkommen anders – ein wichtigtuerischer Alleswisser, groß, aber dünn wie eine Bohnenstange, mit einer Veranlagung, auf dem Schulhof den Hintern versohlt zu bekommen.
»Ich denke deswegen kein bisschen schlechter von dir. Tatsächlich würde ich dir, wenn wir jetzt mehr unter uns wären, gerne zeigen, wie viel ich von dir halte«, scherze ich kokett, und seine Mundwinkel heben sich zögerlich zu einem Lächeln. »Sich zu schlagen, ist nicht die einzige Art, mutig zu sein. Meinetwegen der Bruderschaft beizutreten und für uns zu spionieren – das ist mutig.«
»Ich möchte dich beschützen können«, murmelt er.
»Ich kann mich selbst beschützen.« Ich drücke seine Hand und konzentriere mich auf seine Verletzungen. Innerhalb von einem Augenblick sind sie geheilt. Mir ist noch nicht einmal schwindelig.
Finn betastet seine Wange, die gänzlich abgeschwollen ist. »Das hättest du nicht tun müssen«, murmelt er.
»Es war aber gar nicht schwer.« Ich kann ihn ja schlecht blutend und grün und blau geschlagen in der Gegend herumlaufen lassen, nur damit sein Stolz keinen Schaden nimmt.
Er steckt das fleckige Taschentuch ein und tritt mit dem Stiefel gegen den Bordstein. »Ich wünschte, ich könnte mehr für deine Sicherheit tun. Ich will dein Ehemann sein, Cate. Diese heimlichen Treffen …«
»Ich weiß.« Eine streunende getigerte Katze streift um Tess’ Beine, und Tess beugt sich zu ihr hinunter, streichelt sie und säuselt zärtliche Worte. Das ist also das Mädchen, vor dem die Brüder solche Angst haben? »Mir gefällt das auch nicht. Was auch immer Inez vorhat, es muss funktionieren.«
Kapitel 12
Die angespannte Lage im Kloster spitzt sich am nächsten Nachmittag während des Unterrichts zur Geschichte der Hexerei noch weiter zu. Schwester Sophia vertritt die betagte Schwester Evelyn, die die Eingangstreppe hinuntergestürzt ist und sich den Arm gebrochen hat, genau wie von Tess vorhergesagt. In den meisten Kursen sind wir nach unseren magischen Fähigkeiten und nicht nach Alter zusammengesetzt, aber in Geschichte der Hexerei ist es anders; der Kurs besteht aus den zwölf ältesten Klosterschülerinnen. Wir sitzen in ordentlichen Reihen zu viert nebeneinander auf unseren Plätzen – engen Holzbänken mit zerkratzen schrägen Tischplatten –, die letzte Reihe ist leer.
Schwester Sophia liest uns etwas über die zunehmend einschränkenden Gesetze der Bruderschaft Anfang des 19. Jahrhunderts vor, als erstmals Theater und öffentliche Tanzveranstaltungen verboten wurden. Es kommt mir merkwürdig vor, mich auf Dinge zu konzentrieren, die vor fast hundert Jahren passiert sind, wenn wir über den Protest gestern oder all die gefangenen Mädchen reden könnten. Kaum eine passt auf. Das Feuer im Kamin brennt so heiß, dass die Luft im Raum stickig und einschläfernd ist. Vor mir macht sich die beflissene Pearl auf ihrer Schiefertafel Notizen, doch Alexas blonder Schopf ist nach vorne gesunken, als wäre sie eingenickt, und Maud und Eugenia schreiben sich Nachrichten. Links von mir malt Rilla Herzen auf ihre Tafel.
Rechts neben mir sitzt Mei und zählt ihre Gebetsperlen aus Elfenbein. Sie macht sich Sorgen um ihre Schwestern, seit gestern Abend ihr Bruder Yang zum Kloster kam und die beunruhigende Nachricht überbrachte, dass Li und Hua sich zu den Protesten geschlichen hätten und unter den zweihundert Leuten seien, die von den Wachen der Brüder verhaftet wurden. Da im Gefängnis nicht genug Platz für sie alle ist, werden sie jetzt wie Vieh in einer
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