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Töchter des Windes: Roman (German Edition)

Töchter des Windes: Roman (German Edition)

Titel: Töchter des Windes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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hob mich auf. Ich erinnere mich nicht mehr, daß er mich aus dem Raum getragen hat. Ich erinnere mich auch nicht an das Feuer selbst, sondern nur noch an den Rauch. Ich wachte im Krankenhaus wieder auf, und neben meinem Bett saß eine Sozialarbeiterin. Ein hübsches, junges Ding mit großen blauen Augen und weichen Händen. Außerdem war da noch ein Polizist. Er machte mich nervös, denn meine Mutter hatte mir beigebracht, keinem Bullen zu trauen. Sie fragten mich, ob ich wüßte, wo meine Mutter war. Natürlich wußte ich es nicht. Als ich wieder fit genug war, um das Krankenhaus zu verlassen, hatten sich die Behörden meiner bereits bemächtigt. Sie steckten mich in ein Kinderheim und machten sich auf die Suche nach ihr. Sie haben sie nie gefunden. Ich habe sie nie mehr gesehen.«
    »Sie hat nicht nach dir gesucht.«
    »Nein, sie hat nicht nach mir gesucht. Aber das war gar nicht so schlecht. Das Heim war sauber, und es kam regelmäßig etwas zu essen auf den Tisch. Das große Problem für mich bestand darin, daß ich die strengen Regeln nicht kannte, denen man dort unterworfen war. Es gab Pflegefamilien, die mich aufnahmen, aber ich sorgte stets dafür, daß es auf die Dauer nicht klappte. Ich wollte nicht das unechte Kind fremder Leute sein, egal wie gut oder wie schlecht es bei ihnen war. Und bei einigen war es wirklich gut. Ich war das, was man schwer erziehbar nennt. Und genau so gefiel es mir. Ein Unruhestifter zu sein gab mir eine Identität, also sorgte ich dafür, daß es stets irgendwelche Schwierigkeiten mit mir gab. Ich war wirklich tough, hatte eine große Klappe und war allem gegenüber negativ eingestellt. Immer fing ich irgendwelche Raufereien an, weil ich stark und somit normalerweise der Gewinner war.
    Dabei war ich so leicht zu durchschauen«, fuhr er lachend fort. »Was das Schlimmste für mich war. Ich war ein Produkt
meiner frühkindlichen Umwelt und verdammt stolz darauf. Kein verdammter Psychologe oder Psychiater oder Sozialarbeiter drang zu mir durch. Sie hatte mir beigebracht, jede Autorität zu hassen, und mit diesem Teil ihrer Erziehung hatte sie offenbar tatsächlich Erfolg gehabt.«
    »Aber in der Schule, im Heim . . . war man dort gut zu dir?««
    Seine Augen blitzten spöttisch auf. »Oh, ja, einfach umwerfend. Ich bekam einen Quadratmeter Fußboden und ein Bett ganz für mich allein.« Als er ihre betrübte Miene sah, seufzte er ungeduldig auf. »Man ist Teil der Statistik, eine Nummer. Ein Problem. Und es gibt jede Menge anderer Nummern und Probleme, um die es sich ebenfalls zu kümmern gilt. Sicher, rückwirkend betrachtet muß ich sagen, daß ich einigen Leuten vielleicht wirklich wichtig war, daß ein paar von ihnen wirklich versuchten, dazu beizutragen, daß es mir besser ging. Aber mit all ihren Fragen und Tests, mit all ihren Regeln und ihrer Disziplin waren sie der Feind. Also bin ich dem Beispiel meiner Mutter gefolgt und mit sechzehn getürmt. Habe auf der Straße gelebt und mich durchgeschlagen, so gut es ging. Ich habe niemals irgendwelche Drogen angerührt, habe mich nie verkauft, aber sonst habe ich so ziemlich alles getan.«
    Er stieß sich vom Ankleidetisch ab und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. »Ich habe geklaut, betrogen, die Leute abgezockt. Und eines Tages hatte ich eine Erleuchtung, als mir einer der Typen, die ich betrogen hatte, auf die Schliche kam und mich so verprügelte, daß mir Hören und Sehen verging. Als ich so mit blutender Nase und mehreren gebrochenen Rippen in der Gosse lag, kam mir der Gedanke, daß es auch eine andere Möglichkeit geben mußte, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Also machte ich mich auf den Weg nach New York. In der Gegend der Fifth Avenue habe ich eine Menge Uhren verkauft«, sagte er, und die Spur eines Lächelns umspielte seinen Mund. »Ich versuchte mich im Kartenspiel
und fing mit dem Schreiben an. In dem Heim hatte man mir eine recht gute Schulbildung zuteil werden lassen, und außerdem schrieb ich wirklich gern. Was ich mir natürlich mit sechzehn, als ich noch ein so furchtbar harter Hurensohn gewesen war, nicht eingestanden hatte. Aber mit achtzehn, in New York, erschien mir die Idee gar nicht mehr so dumm. Allerdings widerte es mich mit einem Mal furchtbar an, daß ich der Sohn meiner Mutter war. Also beschloß ich, jemand anderes zu sein.
    Ich änderte meinen Namen. Ich änderte mich. Ich suchte mir einen anständigen Job als Kellner in einer kleinen Kneipe in Greenwich. Ich legte den kleinen Bastard

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