Töchter des Windes: Roman (German Edition)
Stückchen für Stückchen ab, und schließlich war ich Grayson Thane. Und ich blicke nie auf jene Zeit zurück, weil es sinnlos ist.«
»Weil es dir weh tut«, sagte Brianna leise. »Und weil es dich wütend macht.«
»Vielleicht. Aber vor allem, weil es nichts mit dem Mann zu tun hat, der ich heute bin.«
Am liebsten hätte sie ihm erklärt, daß er ohne seine Vergangenheit nie zu dem Mann geworden wäre, der er heute war, aber statt dessen stand sie auf, trat vor ihn und sah ihm ins Gesicht. »Ich liebe den Mann, der du heute bist.« Die Erkenntnis, daß er sich vor dem zurückzog, was sie ihm geben wollte, versetzte ihr einen Stich. »Ist es so schlimm für dich zu wissen, was ich für dich empfinde, zu wissen, daß ich mit dem Kind und dem jungen Mann Mitleid haben kann und gleichzeitig bewundere, was aus ihnen geworden ist?«
»Brianna, die Vergangenheit ist unwichtig. Für mich.« Er sah sie an. »Für dich ist es etwas anderes. Deine Vergangenheit läßt sich über Jahrhunderte zurückverfolgen. Eure Geschichte, eure Tradition sind ein untrennbarer Teil von dir. Sie haben dich geformt, und genau deshalb ist auch die Zukunft so wichtig für dich. Du bist eine Planerin, du gehst die Dinge langfristig an. Ich nicht. Ich kann es nicht. Verdammt,
ich will es nicht. Für mich gibt es nur das Jetzt. Für mich gibt es nur die Gegenwart.«
Dachte er etwa, das könnte sie, nach allem, was er ihr erzählt hatte, nicht verstehen? Sie sah ihn nur allzu deutlich vor sich, den geschundenen kleinen Jungen, der sich aus Angst vor der Vergangenheit, aus Angst, daß es keine Zukunft für ihn gab, verzweifelt an alles klammerte, was sich in der Gegenwart erreichen ließ.
»Nun, im Augenblick sind wir zusammen, nicht wahr?« Sanft legte sie die Hand auf seine Wange. »Grayson, ich kann nicht aufhören, dich zu lieben, nur weil du dich dann wohler fühlst, und ich kann auch nicht damit aufhören, damit es mir besser geht. Es ist nun einmal so. Ich habe mein Herz an dich verloren und kann und will es nicht zurücknehmen, so wenig dir dieser Gedanke auch behagen mag. Das heißt nicht, daß du mein Herz auch nehmen mußt, obgleich du verrückt wärst, wenn du es nicht nähmst. Es kostet schließlich nichts.«
»Ich will dir nicht weh tun, Brianna.« Er umfaßte ihre Handgelenke und sah sie an. »Ich will dir nicht weh tun.«
»Das weiß ich.« Aber natürlich täte er ihr weh, und sie fragte sich, weshalb er nicht sah, daß er Gefahr lief, sich selbst ebenfalls weh zu tun. »Also leben wir die Gegenwart und seien wir dankbar dafür. Aber sag mir eins«, bat sie ihn und gab ihm einen zarten Kuß. »Wie war dein Name, ehe du ihn geändert hast?«
»Himmel, du gibst wohl niemals auf.«
»Nein.« Ihr Lächeln war von einer überraschenden Leichtigkeit und drückte ein ebenso überraschendes Selbstvertrauen aus. »Was in meinen Augen nicht unbedingt ein Fehler ist.«
»Logan«, murmelte er. »Michael Logan.«
Als sie lachte, kam er sich vor wie ein Idiot. »Ein Ire. Ich hätte es wissen müssen. Bei deinem erzählerischen Talent und deinem Charme war es vorherzusehen.«
»Michael Logan«, sagte er wütend, »war ein engstirniger, bösartiger, pfennigfuchserischer Dieb, der weniger wert war als ein Stück Dreck.«
Sie stieß einen erschöpften Seufzer aus. »Michael Logan war ein vernachlässigtes, problembeladenes Kind, das keine Liebe und Zuwendung bekam. Und du hast Unrecht, wenn du ihn heute derart haßt. Aber lassen wir ihn in Frieden ruhen.«
Dann entwaffnete sie ihn, indem sie sich an ihn preßte und ihren Kopf an seiner Schulter ruhen ließ. Ihre Hände strichen besänftigend seinen Rücken hinab. Er hatte erwartet, daß sie von seiner Erzählung angewidert war. Hatte erwartet, daß sie von der Art, wie er zuvor im Bett mit ihr umgesprungen war, abgestoßen war. Aber sie war da, hielt ihn tröstend in den Armen und bot ihm ihre erschreckend tiefe Liebe an.
»Ich weiß einfach nicht, was ich mit dir machen soll.«
»Du brauchst gar nichts zu machen.« Sie küßte seine Schulter. »Du hast mir die schönsten Monate meines Lebens geschenkt. Und du wirst dich dein Leben lang an mich erinnern, Grayson, ob du es willst oder nicht.«
Er stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. Sie hatte recht. Zum ersten Mal in seinem Leben ließe er, wenn er weiterzog, einen Teil von sich zurück.
Seltsamerweise war er derjenige, der als sie am nächsten Morgen erwachten, verlegen war. Während des Frühstücks im Salon ihrer Suite,
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