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Tödlich ist die Nacht

Tödlich ist die Nacht

Titel: Tödlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hoag
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frische Luft und das Versprechen auf einen technicolorblauen Himmel hinterlassen.
    Auf dem Dach des umgebauten Lagerhauses vollzog ein Mann langsam die fließenden, konzentrierten Bewegungen von Tai-Chi. Der Weiße Kranich breitet seine Flügel aus, die Schlange kriecht am Boden, die Nadel auf dem Meeresgrund. Er konzentrierte sich auf seinen Atem, seine Bewegungen, seine innere Ruhe.
    Sein Atem entwich in kleinen Wolken, die sich in der Atmosphäre auflösten.
    Auf einem anderen Dach weiter im Westen bewegten sich ein alter Mann und ein Kind im gleichen Rhythmus, Seite an Seite, ihre Energien verbunden, ihr Geist völlig getrennt. Meditation in Bewegung. Langsam strecken, ein langsamer Schritt, Gewicht nach hinten verlagern. Zuo xashi duli, shuangfeng guaner, duojuan gong. Eine Bewegung führte zur nächsten und zur übernächsten. Ein Tanz in Zeitlupe.
    Unter einer Brücke des Freeway Ecke Fourth und Flower in Downtown L.A. lag Jace in eine Rettungsdecke gewickelt, er hatte seinen Parka so über die Decke gelegt, dass man die Silberfolie nicht sah, aus der sie gemacht war. Die Decke sah wie ein großes Stück Alufolie aus, aber sie hielt ihn warm, und sie ließ sich auf die Größe eines Sandwichs zusammenfalten.
    Er hatte ein paar Stunden vor sich hin gedöst, aber er konnte nicht sagen, dass er richtig geschlafen hatte. Er hatte sich eng zusammengerollt, um sich warm zu halten und so wenig wie möglich aufzufallen, und jetzt hatte er das Gefühl, sein Körper sei in dieser Haltung erstarrt. Langsam versuchte er sich aufzurichten. Seine Gelenke taten weh, so als wären sie ausgerenkt worden.
    Einen Block weiter, Ecke Fifth und Flower, fanden sich die Kuriere jetzt zu Kaffee und einem Happen zu essen bei Carl's Jr. ein. Für einen Becher heißen Kaffee hätte er seine Seele verkauft. Die Midnight Mission Ecke Fourth und Los Angeles Street hielt für jeden, der vorbeikam, ein komplettes Frühstück bereit.
    Vielleicht würde er später dorthin gehen. Er wollte mit Mojo sprechen, in Erfahrung bringen, was die Leute redeten, was bei Speed vor sich ging, was Eta den Cops erzählt hatte. Später würde sich der Platz unter der Brücke mit Kurieren füllen, die dort herumhingen und auf einen Auftrag warteten. Sie würden ihre Fahrräder abstellen und sich auf dem Geländer niederlassen wie ein Schwarm Krähen, und sich über alles Mögliche unterhalten, von Veganerkost bis zu Arnold Schwarzenegger.
    Von all diesen Kurieren war Mojo derjenige, den Jace am meisten respektierte und dem er am ehesten traute. Mit seinem Voodoo-Zauber und seinem Aberglauben wirkte er oft wie ein durchgeknallter Rastafari, aber Jace wusste, dass er eher durchtrieben wie ein Fuchs als durchgeknallt wie Preacher John war. Mojo war schon seit vielen Jahren Kurier und hatte überlebt. Dazu gehörte mehr als Glück. Und von Zeit zu Zeit lüftete er seine Maske und ließ kurz erkennen, wer dahinter steckte – ein intelligenter Mann mit einer beneidenswerten inneren Ruhe.
    Mojo würde ihm alles Wichtige erzählen. Falls er Mojo allein erwischte.
    Jace faltete seine Rettungsdecke zusammen und steckte sie in seinen Rucksack. Er ging hinter einen Pfeiler, um zu pinkeln, dann schnallte er seinen Rucksack um, stieg auf sein Rad und fuhr die Straße hinunter in Richtung Carl's Jr. Es herrschte kaum Verkehr. Die Stadt wachte gerade erst auf, sich streckend und gähnend.
    Diese Tageszeit mochte Jace am liebsten, wenn er tief die saubere Luft einatmen konnte, wenn sein Kopf noch frei war von Lärm und Abgasen und den Tausenden von Fragen und Antworten, die einem Kurier durch den Kopf schießen, während er sich durch den Verkehr schlängelt, Fußgängern ausweicht, im Bruchteil einer Sekunde Entscheidungen trifft, welches die kürzeste, schnellste Route ist. Zu dieser frühen Stunde bestand noch eine Chance, dass es ein guter Tag werden könnte. Für gewöhnlich.
    Er stellte den Silberpfeil neben dem Café ab und ging zugunsten der Möglichkeit, schnell damit abhauen zu können, das Risiko ein, es nicht abzusperren. Er konnte nicht hineingehen. Stattdessen überquerte er die Fifth und wartete an der Ecke, mit hochgeschlagenem Kragen, eingezogenen Schultern, die Hände in den Taschen vergraben, die Kappe tief in die Stirn gezogen. So sahen viele aus, die sich in den Straßen von Downtown herumtrieben, keiner würde ihn beachten, geschweige denn einen Gedanken an ihn verschwenden.
    Die ersten Kuriere, die auftauchten, arbeiteten für eine andere Agentur –

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