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Tödlich ist die Nacht

Tödlich ist die Nacht

Titel: Tödlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hoag
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wahr«, sagte Jace. »Ich würde nicht weggehen, ohne es dir zu sagen.«
    »Du hast gesagt, du würdest überhaupt nicht weggehen.«
    »Ich habe gesagt, dass ich immer zurückkommen werde«, verbesserte Jace. »Und das werde ich auch tun.«
    Tyler schüttelte den Kopf, seine Augen füllten sich mit Tränen. »Du steckst in Schwierigkeiten. Davon wolltest du mir auch nichts erzählen, aber ich weiß es trotzdem.«
    »Was weißt du?«
    »Du behandelst mich wie ein Baby, als wäre ich dumm und würde überhaupt nichts begreifen. Wie… wie…«
    »Was weißt du?«, fragte Jace noch einmal.
    »Du gehst weg. Du könntest mich mitnehmen, aber das wirst du nicht tun, und ich kann nichts dazu sagen, weil du findest, dass ich gar nicht wissen soll, was los ist!«
    »Du kannst nicht mitkommen, Tyler. Es gibt da ein paar Probleme, die ich lösen muss, und ich muss mich schnell bewegen können.«
    »Wir könnten zusammen weggehen«, widersprach Tyler. »Wir könnten irgendwohin gehen, wo uns keiner kennt, wie damals,
    als Mom gestorben ist.«
    »So einfach ist es nicht«, sagte Jace.
    »Weil du ins Gefängnis musst?«
    »Was?« Jace ließ sich auf den Futon fallen. Tyler baute sich vor ihm auf, mit wutverzerrtem Gesicht und roten Flecken auf den blassen Wangen.
    »Lüg mich nicht an«, sagte er. »Tu nicht so, als hättest du das nicht gesagt. Ich habe gehört, wie du es gesagt hast.«
    Jace verzichtete darauf, seinen Bruder zu fragen, ob er sein Gespräch mit Madame Chen belauscht hatte. Offensichtlich hatte er es getan, und das hätte Jace eigentlich nicht überraschen sollen. Tyler war berüchtigt dafür, dass er an Orten auftauchte, wo er nichts zu suchen hatte, und Dinge wusste, die er nicht wissen sollte.
    »Ich muss nicht ins Gefängnis«, sagte Jace. »Ich habe das zu Madame Chen nur gesagt, um ihr Angst zu machen. Sie will, dass ich zur Polizei gehe oder mit einem Anwalt rede. Ich will das nicht, und ich musste dafür sorgen, dass sie es nicht an meiner Stelle tut.«
    »Es kommt also keiner vom Jugendamt und holt mich ab und bringt mich zu einer Pflegefamilie?«
    »Nein, mein Kleiner.« Jace legte die Hände auf die schmalen Schultern seines Bruders. »Ich tu nichts, was schlecht für dich ist. Ich würde nie etwas tun, was schlecht für dich ist. Das weißt du doch, oder nicht?«
    In Tylers Augen glitzerten Tränen, als er ernst nickte.
    »Wir kümmern uns umeinander, stimmt's?«
    »Und warum willst du dann nicht, dass ich dir helfe?«
    Jace schüttelte den Kopf. »Es ist zu kompliziert. Ich muss herausfinden, was wirklich vor sich geht.«
    »Dann solltest du mich dir erst recht helfen lassen«, wiederholte Tyler eigensinnig. »Ich bin viel klüger als du.«
    Jace lachte müde und fuhr seinem Bruder durch die Haare. »Wenn es hier um Geometrie oder Physik ginge, würde ich mich sofort an dich wenden, Ty. Aber so ist es nicht. Das hier ist sehr
    viel ernster.«
    »Ein Mann ist umgebracht worden«, sagte Tyler leise.
    »Ja.«
    »Was ist, wenn du auch umgebracht wirst?«
    »Ich sorge dafür, dass das nicht passiert«, sagte Jace und wusste, dass es ein leeres Versprechen war. Tyler wusste es auch. Trotzdem fügte Jace hinzu: »Ich werde immer zurückkommen.«
    Eine Träne und dann noch eine lief über das Gesicht seines Bruders. Der Ausdruck in seinen Augen war der eines alten Mannes und nicht der eines kleinen Jungen. Eine abgrundtiefe Traurigkeit, die noch verstärkt wurde durch die Resignation, zu der die Erlebnisse in der Vergangenheit geführt hatten. Jace dachte in diesem Moment, dass Tylers Seele hundert Jahre alt oder noch älter sein musste, und dass er in seinem Leben eine Enttäuschung nach der anderen erfahren hatte.
    »Du kannst nicht zurückkommen, wenn du tot bist«, flüsterte Tyler.
    Jace nahm den Jungen in die Arme und drückte ihn fest an sich, in seinen Augen brannten ebenfalls Tränen. »Ich hab dich lieb, mein kleiner Kerl. Ich komme zurück. Nur deinetwegen.«
    »Versprichst du das?«, fragte Tyler mit dem Mund an Jaces Schulter.
    »Ich verspreche es«, flüsterte Jace. Das Versprechen, von dem er nicht wusste, ob er es halten konnte, lag ihm in der Kehle wie ein Steinbrocken, den er nicht schlucken und nicht ausspucken konnte.
    Sie weinten beide, dann saßen sie lange schweigend da, während in der dunklen Nacht unerbittlich die Zeit verrann. Schließlich seufzte Jace und hielt seinen Bruder ein Stück von sich weg.
    »Ich muss los, Kleiner.«
    »Warte«, sagte Tyler. Er drehte sich um und rannte

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