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Tödlich ist die Nacht

Tödlich ist die Nacht

Titel: Tödlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hoag
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und Ihr Vater sich nahe?«
    »Auf unsere Art, ja.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Sie seufzte, wandte ihren Blick ab, sah ihn wieder an. Die Beziehung war wie die meisten Beziehungen komplizierter, als sie in Worte zu fassen vermochte – komplizierter jedenfalls, als er ihrer Meinung nach verstehen konnte.
    »Wir waren Freunde. Lenny war im Grunde genommen kein richtiger Vater. Er war kaum für uns da. Er betrog meine Mutter. Er trank zu viel. Wenn er früher, in meiner Kindheit, Zeit mit mir verbrachte, dann sah das so aus, dass er mich zu einem Pferderennen oder ins nächste Wettbüro mitschleppte, wo er prompt vergaß, dass ich existierte. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich neun war.«
    »Haben Sie ihn deswegen gehasst?«
    »Nein, ich hatte schließlich keinen anderen Vater. Und trotz all seiner Fehler war Lenny kein schlechter Mensch. Er entsprach einfach nur nicht den Erwartungen, die man in ihn setzte.«
    Um seinem prüfenden Blick zu entfliehen, sprang sie auf und lief langsam vor dem Bücherregal auf und ab, die Arme vor der Brust verschränkt, die Augen auf die paar Dinge gerichtet, die noch unberührt an ihrem ursprünglichen Platz standen. Sie sah umwerfend aus in dem hellblauen Pulli und dem dazu passenden Rock und den schicken schwarzen Stiefeln. »Nachdem er uns verlassen hatte, war ich lange Zeit schrecklich wütend auf ihn. Vor allem, weil ich bei meiner Mutter bleiben musste.«
    »Aber Sie haben ihm verziehen?«
    »Wir fanden sozusagen zueinander, als ich mit dem Studium begann. Plötzlich war ich erwachsen. Wir konnten ernste Gespräche miteinander führen. Ich wollte Anwältin werden. Er interessierte sich für mich.«
    »Sie sind also Freunde geworden«, sagte Parker. »Weshalb Sie ihn auch Lenny und nicht Dad nennen.«
    Sie sah wieder weg, er sollte nicht den schmerzlichen Ausdruck in ihrem Gesicht sehen, den die Erinnerung an ihren Vater hervorrief. Aber er war da – ein feuchter Glanz in ihren Augen, der angespannte Kiefer. Die junge Frau hat sich hervorragend unter Kontrolle, dachte Parker.
    Er vermutete, dass das ein kleines Mädchen lernte, wenn der Vater sich mehr mit den Wetteinsätzen bei einem Pferderennen in Santa Anita beschäftigte als mit seiner Tochter. Und dass das ein kleines Mädchen tat, wenn es hin- und hergerissen war zwischen den streitenden Eltern, wenn sein Vater verschwand und dann auf einmal wieder in seinem Leben auftauchte. Sie behielt die Kontrolle. Sie unterdrückte Reaktionen. Sie wurde mit jeder Herausforderung fertig, solange sie nicht zuließ, dass jemand ihren Schutzwall durchdrang.
    »Haben Sie die Freunde Ihres Vaters gekannt?«, fragte Parker ruhig. »Seine Feinde? Wissen Sie, ob er in irgendetwas verstrickt war, das möglicherweise gefährlich war?«
    Sie schien leise zu lachen. Über irgendeinen Witz, den sie nicht mit ihm zu teilen bereit war.
    »Lenny hat immer auf den großen Fisch gewartet. Vielleicht hatte er ihn ja endlich an der Angel. Ich weiß es nicht. Wenn er in irgendetwas verstrickt gewesen sein sollte, dann weiß ich nichts davon. Er hat mir nichts dergleichen erzählt. Wir haben über mein Studium geredet. Er hat mir angeboten, bei ihm zu arbeiten, wenn ich meinen Abschluss habe. Wir besuchten Pferderennen.«
    Den letzten Satz brachte sie mit etwas Mühe hervor. Die Beziehung zu ihrem Vater hatte alle Höhen und Tiefen durchlaufen, aber zuletzt waren sie Kumpel gewesen, und er hatte ihr die Aufmerksamkeit geschenkt, nach der sie sich als Kind so sehr gesehnt hatte. Sie hatte sich so sehr danach gesehnt, dass sie sogar denselben Beruf wie er ergreifen wollte, um ihm zu gefallen – bewusst oder nicht.
    Parker erwiderte nichts darauf und ließ seinen Blick über das Chaos auf dem Schreibtisch wandern. Abby Lowell ging weiter auf und ab. Sie will weg, dachte er. Nicht einmal unschuldige Leute waren gerne mit Cops zusammen. Und wie unschuldig sie war, wusste er nicht.
    »Müssen Sie die Vorbereitungen für die Beerdigung allein treffen?«, fragte er. »Sind Sie die einzige Verwandte?«
    »Er hat einen Bruder im Staat New York und eine Tochter aus erster Ehe. Ich habe Ann seit Jahren nicht gesehen. Ich glaube, sie ist nach Boston gezogen. Und dann sind da noch die drei Exfrauen. Keine von ihnen würde auch nur die Straße überqueren, um auf seinen Leichnam zu spucken.«
    »Dann sind Sie also die Einzige von allen, die ihm verziehen hat.«
    Darauf sagte sie nichts, gab nicht einmal zu erkennen, ob sie seine Bemerkung gehört hatte. Sie hob

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