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Tödlich ist die Nacht

Tödlich ist die Nacht

Titel: Tödlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hoag
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eine schwarze Schultertasche aus Leder vom Boden auf und stellte sie auf den Tisch. Sie passte zu ihren Stiefeln.
    »Stört es Sie, wenn ich rauche, Detective?«, fragte sie und fischte bereits eine Zigarette aus dem Päckchen.
    Er wartete, bis sie sie in den Mund gesteckt hatte und das Feuerzeug in der Hand hielt, dann sagte er: »Ja, es stört mich.«
    Sie sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an und zündete die Zigarette trotzdem an. Nachdem sie eine Rauchwolke gegen die nikotingelbe Decke geblasen hatte, sagte sie: »Das war eine reine Höflichkeitsfrage.«
    Sie lehnte sich gegen den Schreibtisch. Ihr Profil schien aus einer Erté-Zeichnung zu stammen, die langen, anmutigen, fein geschwungenen Linien des frühen Art déco. Ihre Haut war wie Porzellan. Die Haare fielen ihr in einem dunklen Wasserfall über den Rücken. Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit Lenny. Parker fragte sich, ob die andere Tochter auch so viel Glück gehabt hatte. Er fragte sich, ob diese hier versuchte, ihn abzulenken.
    »Haben Sie gestern Abend noch mit irgendjemandem gesprochen, als Sie von hier weggingen, Ms. Lowell?«
    »Nein, ich bin direkt nach Hause.«
    »Sie haben nicht einmal Ihre Mutter angerufen, um ihr mitzuteilen, dass ihr Exmann das Zeitliche gesegnet hat?«
    »Meine Mutter ist vor fünf Jahren gestorben. Krebs.«
    »Das tut mit Leid«, sagte Parker automatisch. »Vielleicht haben Sie ja aber eine Freundin angerufen? Oder einen Freund?«
    Sie seufzte, drückte ungeduldig ihre Zigarette aus, nahm ihre Wanderung wieder auf. »Worauf wollen Sie hinaus, Detective? Wenn Sie eine bestimmte Frage haben, dann stellen Sie sie. Wir spielen hier kein Ratespiel. Ich muss alles Mögliche erledigen, und ich habe um elf eine Vorlesung. Wäre es möglich, dass wir das hier hinter uns bringen?«
    Parker hob eine Augenbraue. »Vorlesung? Sie nehmen sich keinen Tag frei, um zu trauern, zu begreifen, dass Ihr Vater vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden ermordet wurde?«
    »Mein Vater ist tot, daran lässt sich nichts mehr ändern.« Sie ging schneller auf und ab. »Er wurde ermordet. Das zu begreifen ist mir unmöglich. Ich weiß nicht, ob man das überhaupt kann. Was würde es mir helfen, wenn ich zu Hause im Bett liegen bliebe und über die Sinnlosigkeit des Lebens sinnierte?«, fragte sie. »Sie glauben vielleicht, dass ich kalt bin, Detective Parker, aber ich gehe damit auf die einzige mir mögliche Weise um – indem ich weitermache, das tue, was getan werden muss, weil es sonst niemanden gibt, der es tut.«
    »Um dann später zusammenzubrechen«, sagte Parker und erhob sich von dem blutbefleckten Stuhl. Er lehnte sich nun seinerseits an den Schreibtisch. »Ich bin jetzt seit fast zwanzig Jahren in diesem Beruf, Ms. Lowell. Ich weiß, dass die Hinterbliebenen alle auf ihre eigene Weise mit so etwas fertig werden.
    Ich hatte einmal einen Fall«, fuhr er fort. »Eine Frau, die bei einem Autodiebstahl umgebracht wurde. Ihr Mantel wurde in der Tür eingeklemmt, als der Täter sie aus dem Wagen schubste. Sie wurde hundert Meter weit mitgeschleift. Es war schrecklich.
    Ihr Mann war ein ziemlich erfolgreicher Künstler, ein Maler. Seine Art, damit fertig zu werden, mit seiner Trauer und seiner Schuld, bestand darin, sich in seinem Atelier einzuschließen und zu malen. Er malte sechsunddreißig Stunden ohne Unterbrechung. Er bearbeitete die Leinwand wie ein Wahnsinniger, mit allem, was ihm zwischen die Finger kam. Dabei schrie und brüllte und heulte er die ganze Zeit. Seine Assistentin rief mich an, weil sie Angst hatte, dass er völlig durchdrehen und sich umbringen könnte.
    Zu guter Letzt war er still. Der Mann verließ sein Atelier, ohne ein Wort zu sagen, stellte sich unter die Dusche und verschwand in seinem Bett. Die Assistentin und ich, wir gingen ins Atelier, um nachzusehen, was er dort die ganze Zeit gemacht hatte. Es standen etwa ein Dutzend große Leinwände da. Unglaubliche Arbeiten, großartig, tausendmal besser als alles, was er bis dahin zuwege gebracht hatte. Pollock wäre vor Neid erblasst. Jede Empfindung, die in dem Mann getobt hatte, war zu sehen, rohe, wütende, unerträgliche Trauer.
    Als der Mann aufwachte, ging er in sein Atelier und zerstörte sämtliche Bilder. Er sagte, sie wären zu persönlich, kein anderer sollte sie sehen. Er beerdigte seine Frau und lebte sein Leben weiter.«
    Abby Lowell starrte ihn an, unsicher, was sie darauf erwidern sollte, was sie denken sollte, ob das eine Falle war.
    Parker breitete die

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