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Tödliche Absicht

Tödliche Absicht

Titel: Tödliche Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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für mich abfassen? Was antwortet er darauf? Was macht er? Fängt er an, vor Nervosität zu zittern? Fühlt er sich herausgefordert? Nein, er sagt nur: Klar kann ich das. Und dann macht er sich an die Arbeit und tut es. Weil das sein Job ist. Schlicht und einfach.«
    »Dies ist nicht dein Job, Reacher.«
    »Doch, jedenfalls fast. Uncle Sam hat mich mit deinen Steuern dafür bezahlt, dass ich volle dreizehn Jahre lang genau diesen Job gemacht habe. Und Uncle Sam hat todsicher nicht erwartet, dass ich aus Konfliktscheu oder psychologischen Bedenken davonlaufe.«
    Sie starrte weiter durch die Windschutzscheibe, die sich durch die Atemfeuchtigkeit zu beschlagen begann.
    »Auf der anderen Seite des Secret Service arbeiten Hunderte von Leuten«, sagte sie. »In der Abteilung Wirtschaftsverbrechen. Hunderte von Leuten. Gute Leute. Wir sind keine richtigen Ermittler, aber sie sind es. Nur das. Dafür sind sie da . Joe hätte einfach ein paar von ihnen auswählen und nach Georgia schicken können. Aber das hat er nicht getan. Er musste selbst hin. Und er musste allein hin. Weil er sich herausgefordert fühlte. Er konnte einfach nicht zurück. Weil er sich immer mit dir verglichen hat.«
    »Ich stimme dir zu, dass er’s nicht hätte tun sollen«, sagte Reacher. »Wie ein Arzt kein Testament abfassen und ein Anwalt nicht operieren sollte.«
    »Aber du hast ihn dazu gezwungen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich hab ihn zu nichts gezwungen.«
    Sie schwieg.
    »Zwei Punkte, Froelich«, fuhr er fort. »Erstens sollten Menschen ihren Beruf nicht mit Rücksicht darauf wählen, was ihr Bruder davon halten könnte. Und zweitens war ich sechzehn und Joe achtzehn, als wir zum letzten Mal zusammen waren. Er war dabei, nach West Point zu gehen, und mir nachzueifern wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Du spinnst wohl! Danach haben wir uns praktisch nie wiedergesehen, nur auf Beerdigungen. Auch wenn du mich für einen schlechten Bruder hältst, war Joe keineswegs besser. Er hat sich nie um mich gekümmert. Jahre sind vergangen, ohne dass ich von ihm gehört habe.«
    »Er hat deine Karriere verfolgt. Deine Mutter hat ihm Sachen geschickt. Er hat sich mit dir verglichen.«
    »Unsere Mutter ist sieben Jahre vor ihm gestorben. Damals stand ich noch ganz am Anfang meiner Karriere.«
    »Du bist gleich zu Beginn in Beirut mit dem Silver Star ausgezeichnet worden.«
    »Ich bin in eine Bombenexplosion geraten«, sagte er. »Sie haben mir einen Orden verliehen, weil ihnen sonst nichts anderes eingefallen ist. Typisch für die Army. Joe hat das gewusst.«
    »Er hat sich mit dir verglichen«, wiederholte sie.
    Reacher beobachtete, wie ihr Atem sich auf dem kalten Glas der Windschutzscheibe niederschlug.
    »Möglich«, sagte er. »Aber nicht mit mir.«
    »Mit wem sonst?«
    »Vielleicht mit unserem Dad.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Von ihm hat er nie gesprochen.«
    »Nun, da haben wir’s«, sagte Reacher. »Verdrängung. Verleugnung.«
    »Glaubst du? Was war an eurem Dad so besonders?«
    Reacher schloss die Augen.
    »Er war Marineinfanterist«, antwortete er. »Korea und Vietnam. Ein sehr komplexer Mensch. Sanft, schüchtern, charmant, liebevoll, aber auch eisenhart. Härter als Stahl. Im Vergleich zu ihm sehe ich wie Liberace aus.«
    »Vergleichst du dich mit ihm?«
    Reacher schüttelte den Kopf. Öffnete die Augen.
    »Zwecklos«, sagte er. »Im Vergleich zu ihm sehe ich wie Liberace aus. Das lässt sich einfach nicht ändern. Was für die Welt nicht unbedingt schlecht sein muss.«
    »Hast du ihn nicht gemocht?«
    »Er war in Ordnung. Aber er war ein Verrückter. Für Leute wie ihn ist heutzutage kein Platz mehr.«
    »Joe hätte nicht nach Georgia gehen dürfen«, sagte sie.
    Reacher nickte. »Das bestreite ich nicht«, erwiderte er, »aber daran war niemand schuld außer ihm. Er hätte vernünftiger sein sollen.«
    »Du aber auch.«
    »Ich bin vernünftig. Deshalb habe ich mich nicht beim Marine Corps, sondern bei der Militärpolizei verpflichtet.«
    »Und du glaubst zu wissen, wie man diese Kerle unschädlich macht?«
    »Wie jeder Müllmann weiß, wie man Abfälle entsorgt. Dazu braucht man kein Genie zu sein.«
    »Das klingt ziemlich arrogant.«
    Er schüttelte den Kopf. »Hör zu, ich hab’s satt, mich ständig rechtfertigen zu müssen. Das ist lächerlich. Kennst du deine Nachbarn? Kennst du die Leute, die in deiner Straße wohnen?«
    »Kaum«, antwortete sie.
    Er wischte Feuchtigkeit von der Seitenscheibe und wies mit dem Daumen nach

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