Tödliche Absicht
auf seine Schulter und benützte den Schwung ihrer Linken, um sich ihm zuzuwenden. Dann zog sie die Knie hoch und rammte sie ihm in die Brust. Der Aufprall raubte ihm die Luft, seine Beine gaben nach, und er ging rückwärts zu Boden, als die zweite Kugel aus einem Gewehr mit Schalldämpfer sie im Nacken traf. Wieder lautlos. Völlig lautlos. Nur eine im Sonnenschein hellrot leuchtende Blutfontäne, durchsichtig wie dünner Herbstnebel, die aus ihrem Nacken schoss.
Sie hing in einer lang gezogenen kegelförmigen Wolke in der Luft – wie Dunst, rosa und schimmernd – und schmolz zu einem Punkt, als Froelich zusammenbrach. Als der Servierlöffel, sich überschlagend durch die Wolke fiel, veränderte sie ihre Form und wurde zu einer langen, elegant geschwungenen Kurve. Froelich ging zu Boden und hinterließ ihr Blut in der Luft wie ein Fragezeichen. Reacher konnte nur mühsam den Kopf zur Seite drehen, als laste ein tonnenschweres Gewicht auf ihm, und erkannte die Form einer Schulter, die auf dem Dach rückwärts gehend außer Sicht kam. Er wandte sich unendlich langsam wieder dem Hof zu und sah den rosa Pfeil von Froelichs Blut auf einen Punkt weisen, der jetzt hinter den Tischen unsichtbar war.
Dann lief die Zeit plötzlich wieder weiter, und hundert Dinge passierten gleichzeitig. Es herrschte ein ohrenbetäubender Lärm. Agenten stürzten sich auf Armstrongs Frau und rissen sie mit sich zu Boden. Sie kreischte verzweifelt. Agenten fingen an, auf das Lagerhausdach zu schießen. Aus der Menge waren Entsetzens- und Angstschreie zu hören. Die Menschen begannen zu flüchten. Überall rennende Schritte, dazu die lauten Abschussknalle großkalibriger Handfeuerwaffen. Reacher riss die Serviertische auseinander und zwängte sich durch die entstandene Lücke, um Froelich zu erreichen. Agenten zerrten Armstrong unter ihr hervor. Automotoren heulten auf. Reifen quietschten. Pistolen knallten. Pulverdampf hing in der Luft. Sirenen heulten. Armstrong wurde weggezogen. Reacher sank in einer Blutlache neben Froelich auf die Knie und bettete ihren Kopf in seine Arme. All ihre Vitalität war verschwunden. Sie lag völlig schlaff und still da. Aber ihre Augen waren weit geöffnet. Sie bewegten sich langsam von einer Seite zur anderen, als sei sie neugierig.
»Alles in Ordnung mit ihm?«, flüsterte sie.
Ihre Stimme klang leise, aber klar.
»Ja«, sagte Reacher.
Er schob eine Hand unter ihren Nacken. Er konnte das dünne Kabel fühlen, und ihr Blut. Es pulsierte aus ihrem Körper, glich einem warmen Strahl, der durch ihren Blutdruck aus dem Körper gepresst wurde. Er zwängte sich zwischen Reachers Fingern hindurch wie ein Wasserstrahl aus einem Badewannenhahn, der auf- und zugedreht, auf- und zugedreht wird. Als er ihren Kopf etwas höher hob, sah er rechts vorn an ihrer Kehle die Austrittswunde, aus der unentwegt Blut quoll. Hellrotes arterielles Blut aus der Halsschlagader.
»Sanitäter!«, rief er.
Niemand hörte ihn. Seine Stimme trug nicht weit. Der Lärm war zu stark. Um ihn herum schossen Agenten auf das Lagerhausdach. Dauerfeuer aus einem Dutzend Waffen. Verschossene Patronenhülsen wurden ausgeworfen, trafen seinen Rücken, prallten von ihm ab, fielen mit leisem Messingklirren zu Boden und rollten über den Beton.
»Sag mir, dass es keiner von uns war«, flüsterte Froelich.
»Es war keiner von euch«, bestätigte er.
Sie ließ ihr Kinn auf die Brust sinken. Zwischen den Hautfalten quoll weiter Blut hervor, lief nach unten und tränkte ihr Polohemd. Sammelte sich auf dem Boden und versickerte in den Rissen des Betons. Er drückte seine flache Hand fest gegen ihren Nacken. Das Blut machte ihn glitschig. Er drückte noch fester, doch der Blutstrom ließ seine Finger abrutschen.
»Sanitäter!«, rief er nochmals, lauter.
Aber er wusste, dass Froelich keine Chance hatte zu überleben. Sie wog vielleicht fünfundfünfzig Kilo, was bedeutete, dass sich ungefähr fünfeinhalb bis sechs Liter Blut in ihrem Körper befanden. Das meiste davon hatte sie bereits verloren. Er kniete darin. Ihr Herz leistete ganze Arbeit, schlug tapfer weiter und pumpte das kostbare Nass auf den Beton, auf dem er kniete.
»Sanitäter!«, brüllte er wieder.
Niemand kam.
Sie sah in sein Gesicht. »Weißt du noch?«, flüsterte sie.
Er beugte sich tiefer über sie.
»Wie wir uns kennen gelernt haben?«, fragte sie kaum hörbar.
»Ich erinnere mich«, sagte er.
Sie lächelte schwach, als stelle diese Antwort sie völlig zufrieden. Sie
Weitere Kostenlose Bücher