Tödliche Absicht
weiterziehen.«
»Und wenn nicht?«
»Dann finde ich sie.«
»Und wenn Sie versagen?«
»Ich habe nicht die Absicht zu versagen. Finde ich sie aber nicht, kommen sie nach Wyoming, um es erneut zu versuchen. Bei dem Trauergottesdienst für Froelich. Und dort liege ich dann auf der Lauer.«
»Nein«, mischte Stuyvesant sich ein. »Das kann ich nicht zulassen. Sind Sie verrückt? Wir können keinen Ort irgendwo im Westen mit nur zweiundsiebzig Stunden Vorlauf sichern. Und ich lasse nicht zu, dass Mr. Armstrong als Köder dient.«
»Er braucht nicht wirklich hin«, beruhigte Reacher ihn. »Wahrscheinlich findet gar kein Trauergottesdienst statt. Er muss es nur verkünden.«
Armstrong schüttelte den Kopf. »Ich kann’s nicht verkünden, wenn kein Gottesdienst stattfindet. Und wenn einer stattfindet, kann ich’s nicht sagen und nicht erscheinen.«
»Wenn Sie helfen wollen, müssen Sie genau das tun.«
Armstrong schwieg.
Sie ließen die Armstrongs im Keller des Westflügels zurück und wurden zu dem Suburban hinausbegleitet. Draußen schien noch immer die Sonne, und der Himmel war wolkenlos. Noch immer ein herrlicher Tag.
»Bringen Sie uns bitte ins Motel«, bat Reacher. »Ich muss unter die Dusche. Dann will ich Bannon sprechen.«
»Weshalb?«, fragte Stuyvesant.
»Weil ich ein Tatzeuge bin«, antwortete Reacher. »Ich hab den Schützen gesehen. Auf dem Dach. Nur flüchtig von hinten, als er vom Rand abgehauen ist.«
»Haben Sie eine Personenbeschreibung?«
»Eigentlich nicht«, entgegnete Reacher. »Es war nur ein flüchtiger Blick. Ich könnte ihn nicht beschreiben. Aber wie er sich bewegt hat, war irgendwie typisch. Ich hab ihn schon mal gesehen.«
14
Er warf seine Sachen, die klamm und steif von Blut waren, auf den Boden des Kleiderschranks, ging ins Bad und drehte die Dusche auf. Das Wasser in der Wanne verfärbte sich erst rot, dann rosa, bis es klar blieb. Er wusch sich zweimal die Haare und rasierte sich sorgfältig. Zog ein weiteres von Joes Hemden und einen weiteren seiner Anzüge an und band sich im Gedenken an Froelich die Regimentskrawatte um, die sie ihm geschenkt hatte. Dann ging er wieder in die Empfangshalle.
Neagley wartete dort auf ihn. Auch sie hatte sich umgezogen und trug jetzt ein schwarzes Nadelstreifenkostüm. Das war die alte Army-Methode: im Zweifelsfall förmliche Kleidung wählen. Sie hatte ihm eine Tasse Kaffee bestellt und sprach mit den U. S. Marshals, die gewechselt hatten. Die Tagesschicht, vermutete er.
»Stuyvesant holt uns ab«, erklärte sie ihm. »Dann fahren wir gemeinsam zu Bannon.«
Reacher nickte. Die Marshals waren in seiner Gegenwart schweigsam. Fast respektvoll. Ihm gegenüber oder Froelichs wegen? Schwer zu beurteilen.
»Verdammtes Pech«, bemerkte einer von ihnen.
Reacher sah zu Boden. »Kann man wohl sagen«, antwortete er. Dann sah er wieder auf. »Aber hey, Scheiße passiert eben«, sagte er.
Neagley lächelte kurz. Das war die alte Army-Methode: im Zweifelsfall schnodderig sein.
Stuyvesant kreuzte eine Stunde später auf und fuhr mit ihnen ins Hoover Building. Das Gleichgewicht der Kräfte hatte sich verschoben. Die Ermordung von Bundesbeamten war ein Fall für die Bundeskriminalpolizei, deshalb war für die Ermittlungen allein das FBI zuständig. Nun handelte es sich um eine schlichte Verbrecherjagd. Bannon holte sie in der Eingangshalle ab und fuhr mit ihnen in einen FBI-Konferenzraum hinauf. Er war besser ausgestattet als der des Secret Service, besaß eine Holztäfelung und Fenster. Auf dem langen Tisch standen Gläser und Mineralwasserflaschen. Bannon gab sich demonstrativ demokratisch und verzichtete auf den Platz am Kopfende des Tisches. Er setzte sich einfach auf einen der Stühle an der Längsseite. Neagley nahm zwei Stühle weiter neben ihm Platz und Reacher ihr gegenüber. Stuyvesant ließ zwischen Reacher und sich zwei Stühle frei und goss sich ein Mineralwasser ein.
»Ein schlimmer Tag«, sagte Bannon in die Stille hinein. »Meine Behörde spricht der Ihren ihr tief empfundenes Beileid aus.«
»Sie haben sie nicht gefasst«, stellte Stuyvesant fest.
»Wir haben einen Vorbericht des Gerichtsmediziners«, sagte Bannon. »Crosetti ist durch einen Kopfschuss mit einem Geschoss des NATO-Kalibers 7,62 Millimeter getötet worden. War sofort tot. Froelich hat einen Halsdurchschuss von hinten erlitten, vermutlich mit demselben Gewehr. Das Geschoss hat die Halsschlagader zerrissen. Aber das wissen Sie vermutlich schon.«
»Sie haben
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