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Tödliche Absicht

Tödliche Absicht

Titel: Tödliche Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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Kevlarweste trug. Auf eine Kopfbedeckung hatte er verzichtet. Ihre Leibwache umgab die beiden und geleitete sie auf den Hof. Kameras surrten und klickten. Die Bodyguards waren wie Froelich gekleidet: schwarze Jeans, schwarze Nylonjacken, darunter Kevlarwesten. Zwei von ihnen trugen eine Sonnenbrille. Einer hatte eine schwarze Baseballmütze auf. Alle waren mit Ohrhörern ausgestattet, und die Ausbuchtungen am Gürtel zeigten, wo ihre Pistolen steckten.
    Froelich führte sie in die Box hinter den Serviertischen. An beiden Enden postierte sich je ein Agent, der nichts anderes zu tun hatte, als die Wartenden zu beobachten. Der dritte Agent, Froelich und das Ehepaar Armstrong gingen in die Mitte, um die Essensausgabe zu übernehmen. Sie einigten sich auf folgende Reihenfolge: außen links der dritte Agent, dann Armstrong, dann Froelich und zum Schluss Armstrongs Frau, außen rechts. Armstrong griff nach einem Löffel und einer Vorlegegabel, überzeugte sich davon, dass die Kameras auf ihn gerichtet waren, und hob die Utensilien wie Waffen hoch.
    »Happy Thanksgiving, Leute!«, rief er.
    Die Wartenden kamen langsam durchs Tor herein. Ihre Stimmung war gedämpft. Sie bewegten sich lethargisch und redeten nicht viel. Kein aufgeregtes Schwatzen, kein heiteres Stimmengewirr. Nicht mit den Empfängen für Wahlkampfspender zu vergleichen. Die meisten waren mit mehreren Lagen Kleidung vermummt. Manche besaßen nur einen Strick als Gürtel. Sie trugen Wollmützen und fingerlose Handschuhe und zeigten bedrückte Gesichter. Es war für sie ein Spießrutenlaufen an den sechs zur Überwachung eingeteilten Agenten vorbei. Der vorderste Obdachlose nahm von dem ersten Servierer einen Plastikteller entgegen und sah sich dem vollen Glanz von Armstrongs Lächeln ausgesetzt. Armstrong legte ihm ein Truthahnbein auf den Teller. Der Mann ging weiter, und Froelich gab ihm Gemüse. Zum Schluss fügte Armstrongs Frau noch etwas Füllung hinzu. Dann schlurfte der Kerl an Reacher vorbei und verschwand im Gebäude, um sich an einen der Tische zu setzen. Das Essen roch gut, der Mann jedoch schlecht.
    So ging es fünf Minuten lang weiter. Immer wenn eine Kasserolle leer war, wurde sie durch eine aus dem Küchenfenster hinausgereichte neue ersetzt. Armstrong lächelte, als mache ihm seine Arbeit Spaß. Die Obdachlosen bewegten sich langsam vorwärts. Die Kameras liefen. Die einzigen Geräusche waren das Klappern der Vorlegebestecke und die wiederholten Floskeln der Servierer. Guten Appetit! Happy Thanksgiving! Danke fürs Vorbeikommen!
    Reacher sah kurz zu Neagley. Sie zog die Augenbrauen hoch. Er blickte zu den Lagerhausdächern hinauf und dann zu Froelich, die eifrig mit ihrem langstieligen Löffel beschäftigt war. Beobachtete die Fernsehleute, die sich ganz offensichtlich langweilten. Sie zeichneten eine ganze Stunde auf und wussten schon jetzt, dass ihr Material auf höchstens acht Sekunden zusammengeschnitten und mit einem Allerweltskommentar versehen werden würde: Der designierte Vizepräsident Armstrong servierte heute in einem Obdachlosenasyl hier in Washington, D. C., den traditionellen Thanksgiving-Truthahn. Schnitt zu Football-Highlights.
    In der Warteschlange standen noch etwa dreißig Personen, als es passierte.
    Reacher spürte einen dumpfen Einschlag in seiner Nähe und fühlte, wie ein Steinsplitter seine rechte Wange traf. Aus dem Augenwinkel heraus sah er eine kleine Staubwolke, die sich um einen winzigen Krater in der Ziegelmauer des Hofs bildete. Aber er hörte nichts. Überhaupt nichts. In Bruchteilen einer Sekunde sagte sein Verstand ihm: Geschoss. Schalldämpfer . Er starrte die Wartenden an. Keiner rührte sich. Er starrte in die Höhe. Das Dach. Crosetti war nicht da. Crosetti war da. Er war fünf, sechs Meter von seiner früheren Position entfernt. Er schoss. Das war nicht Crosetti.
    Dann versuchte er, sich schneller zu bewegen, als seine panische Angst es zuließ. Er stieß sich von der Mauer ab. Sein Mund öffnete sich, versuchte verzweifelt Worte zu formen. Aber sie hatte längst reagiert.
    » W-a-a-ffe! «, schrie sie.
    Froelich warf sich im Zeitlupentempo herum. Der Servierlöffel flog durch die Luft, beschrieb einen Bogen über den Tisch, glitzerte in der Sonne, verteilte Gemüse auf dem Tischtuch. Sie befand sich links von Armstrong, sprang ihn von der Seite an. Ihr linker Arm fuhr hoch, um ihn zu schützen. Sie sprang wie ein Basketballspieler, drehte sich in der Luft zur Seite, stützte sich mit der rechten Hand

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