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Tödliche Absicht

Tödliche Absicht

Titel: Tödliche Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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ohrenbetäubend.
    Sie beobachteten und warteten weiter. Es wurde so kalt, dass sie zu zittern begannen. Aber die Stille tat gut. Reacher kroch hinüber und blickte erneut nach Westen. Anschließend beugte er sich über die Karte und starrte sie gedankenverloren an. Setzte Zeigefinger und Daumen wie einen Stechzirkel ein und maß damit Entfernungen ab. Vierzig, achtzig, hundertzwanzig, hundertsechzig Meilen. Langsam, etwas schneller, schnell, langsam. Durchschnittsgeschwindigkeit ungefähr vierzig. Das macht vier Stunden Fahrzeit.
    »Die Sonne geht im Westen unter«, sagte er, »und im Osten auf.«
    »Auf diesem Planeten«, meinte Neagley.
    Dann hörten sie die Treppe unter sich knarren und Füße auf der Leiter. Die Falltür ging einen Spaltbreit auf, schloss sich dann wieder, um anschließend krachend ganz aufzufliegen. Der Pastor steckte seinen Kopf nach oben und starrte entsetzt die Maschinenpistole und das Sturmgewehr an, die von zwei Seiten auf ihn zielten.
    »Ich muss mit Ihnen über diese Dinger reden«, erklärte er. »Sie können sich denken, dass ich nicht gerade glücklich darüber bin, Waffen in meiner Kirche zu haben.«
    Er stand so auf der Leiter, dass sein aus der Luke ragender Kopf wie der eines Enthaupteten aussah. Reacher legte das M16 wieder auf den Boden. Der Geistliche kletterte eine Sprosse höher.
    »Ich verstehe, dass Sicherheitsmaßnahmen nötig sind«, fuhr er fort. »Und wir fühlen uns geehrt, den designierten Vizepräsidenten zu Gast zu haben, aber ich kann wirklich keine Werkzeuge der Vernichtung in einem geweihten Haus zulassen. Ich hätte erwartet, dass so etwas mit mir besprochen wird.«
    »Werkzeuge der Vernichtung?«, wiederholte Neagley.
    »Wann geht die Sonne unter?«, fragte Reacher.
    Den Pastor schien dieser Themenwechsel etwas zu verblüffen. Aber er antwortete sehr höflich.
    »Bald«, sagte er. »Sie verschwindet hier ziemlich früh hinter den Bergen. Aber das werden Sie heute nicht sehen können. Über den Bergen türmen sich die Wolken. Aus Westen kommt ein Schneesturm.«
    »Und wann geht sie auf?«
    »Um diese Jahreszeit? Kurz vor sieben Uhr.«
    »Haben Sie den Wetterbericht für morgen gehört?«
    »Das Wetter soll nicht viel anders sein als heute.«
    »Gut«, sagte Reacher. »Danke.«
    »Haben Sie die Uhr angehalten?«
    »Sie hat mich wahnsinnig gemacht.«
    »Deswegen bin ich heraufgekommen. Haben Sie was dagegen, wenn ich sie wieder anstelle?«
    Reacher zuckte mit den Schultern. »Die Uhr gehört Ihnen.«
    »Ich kann mir vorstellen, dass das Ticken lästig ist.«
    »Spielt keine Rolle«, meinte Reacher. »Bei Sonnenuntergang sind wir weg. Mitsamt unseren Waffen.«
    Der Pastor kam ganz herauf, beugte sich über die Eisenträger und fummelte an dem Uhrwerk herum. Zu ihm gehörte ein Stellmechanismus mit einem separaten kleinen Zifferblatt, das Reacher bisher nicht aufgefallen war. Mit dieser kleinen Uhr gekoppelt war ein Stellhebel. Der Geistliche sah auf seine Armbanduhr und betätigte den Hebel, um die Außenzeiger in die richtige Stellung zu bringen. Die Miniaturzeiger vor ihm bewegten sich entsprechend. Dann setzte er einfach eines der Zahnräder mit der Hand in Bewegung, bis das Uhrwerk wieder in Schwung kam und von selbst weiterlief. Das dumpfe Klunk, Klunk, Klunk ertönte wieder. Die kleinste Glocke geriet in Resonanzschwingungen und gab jede Sekunde einen leisen Ton von sich.
    »Danke«, sagte der Pastor.
    »Höchstens noch eine Stunde«, erklärte Reacher. »Dann sind wir fort.«
    Der Geistliche nickte, als habe er den Sieg davongetragen und verschwand durch die Falltür nach unten. Zog sie über sich zu.
    »Wir können hier nicht weg«, sagte Neagley. »Bist du verrückt? Sie können auch nachts kommen. Vielleicht warten sie nur darauf, dass es dunkel wird.«
    Reacher sah auf seine Uhr.
    »Sie sind schon da«, sagte er. »Oder fast.«
    »Wo?«
    »Komm, ich zeig’s dir.«
    Er zog das Schallbrett wieder aus seiner Halterung und gab es ihr. Kroch unter der Antriebswelle zum Fuß der anderen Leiter hinüber, die durchs Dach zur Turmplattform hinausführte. Kletterte diese Leiter hinauf und drückte die Falltür auf.
    »Nur kriechen, okay?«, rief er nach unten.
    Er robbte auf dem Bauch liegend weiter. Die Konstruktion der Plattform war mit der in Bismarck identisch. Verlötete Bleiplatten bildeten die Auskleidung einer flachen, viereckigen Mulde. Wasserabläufe in allen Ecken. Eine massive Verankerung für Fahnenmast, Wetterfahne und Blitzableiter. Und ringsherum

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