Tödliche Absicht
Secret-Service-Teams. Hier schien jedermann zu wissen, dass Armstrong zu dem Trauergottesdienst erscheinen würde. Sie erhitzte zwei Fleischpasteten und matschiges Gemüse. Es schmeckte wie Einsatzverpflegung. Die Frau wollte kein Geld dafür nehmen.
Die Zimmer in der Pension waren wie angepriesen sauber, die Wände mit Kiefernholz getäfelt. Landhausteppiche lagen auf dem Holzboden. In jedem befand sich ein Einzelbett mit geblümter Tagesdecke, die durch häufiges Waschen fadenscheinig geworden war. Das gemeinsame Bad lag am Ende des Korridors. Reacher überließ Neagley das Zimmer, das dem Bad näher war. Sie kam noch für eine Weile zu ihm herüber, um sich mit ihm zu unterhalten. Sie saßen nebeneinander auf dem Bett, weil es keine andere Sitzgelegenheit gab.
»Wir haben’s jetzt mit einem Gegner in ausgebauter Stellung zu tun.«
»Wir beide gegen zwei Hinterwäldler«, entgegnete Reacher. »Machst du dir jetzt Sorgen?«
»Die Sache ist schwieriger geworden.«
»Wiederhol’s«, forderte er sie auf. »Ich zwinge dich nicht zum Mitmachen, oder?«
»Allein schaffst du es nicht.«
Er schüttelte den Kopf. »Doch – mit einer Hand auf dem Rücken und einer Binde vor den Augen.«
»Wir wissen nichts über sie.«
»Aber wir können sie halbwegs gut einschätzen. Der große Kerl aus Bismarck ist der Schütze, und der andere hält ihm den Rücken frei und fährt. Großer Bruder, kleiner Bruder. Brudersache. Das Ganze ist eine Brudersache. Es wäre schwierig, einem Außenstehenden das Tatmotiv zu erklären: Hey, ich möchte einen Kerl erschießen, weil sein Vater gedroht hat, mir einen Baseballschläger in den Arsch zu rammen, und ich ihn anbetteln musste, es nicht zu tun.«
Neagley schwieg.
»Ich bestehe nicht darauf, dass du mitmachst«, sagte Reacher.
Neagley lächelte. »Du bist ein Idiot. Ich mache mir Sorgen um dich, nicht um mich.«
»Warum?«, fragte Reacher. »Ich sterbe als alter Mann in einem einsamen Motelbett.«
»Es ist auch für dich eine Brudersache, stimmt’s?«
Er nickte. »Muss wohl so sein. Armstrong ist mir in Wirklichkeit scheißegal. Ich habe Froelich gern gehabt, aber ich hätte sie nie kennen gelernt, wenn Joe nicht gewesen wäre.«
» Bist du einsam?«
»Manchmal. Nicht oft.«
Sie bewegte sehr langsam ihre Hand. Die Bewegung begann nur wenige Zentimeter von seiner Hand entfernt. Ihre Finger glitten kaum merklich über die verblichene Tagesdecke, bis sie seine fast berührten. Dann hob sie die Hand, bis sie ganz dicht über seiner schwebte. Es sah aus, als befände sich zwischen ihren Händen eine stark komprimierte Luftschicht, die warm und flüssig war. Sie ließ ihre Hand darauf schweben und hielt sie dort völlig reglos. Dann führte sie die Hand nach unten, bis ihre Finger kaum merklich den Rücken seiner Finger berührten. Sie drehte den Ellbogen, sodass ihre Hände genau parallel übereinander lagen, und verstärkte den Druck. Ihre Handfläche fühlte sich warm an. Ihre Finger waren lang und kühl, die Spitzen lagen auf seinen Fingerknöcheln. Sie fuhren die Falten, Narben und Sehnen nach, glitten zwischen seine Finger. Er drehte seine Hand um. Sie drückte ihre Handfläche gegen seine. Verschränkte ihre Finger mit den seinen und drückte sie. Er erwiderte den Druck.
Er hielt ihre Hand fünf lange Minuten. Dann zog sie sie langsam zurück, stand auf, ging zur Tür und lächelte.
»Wir sehen uns morgen Früh«, sagte sie.
Er schlief unruhig und wachte um fünf Uhr morgens auf. Mögliche Komplikationen machten ihm Sorgen. Er stand auf, zog sich, ohne Licht zu machen, an und ging nach draußen. Es war bitterkalt, und die Schneeflocken wirbelten dichter. Sie sahen nass und schwer aus. Die Schlechtwetterfront rückte näher, was vermutlich gut war.
Nirgends ein Lichtschein. Alle Fenster der Kleinstadt waren dunkel. Es gab keine Straßenbeleuchtung, keinen Mond und keine Sterne. Der Kirchturm ragte in mittlerer Entfernung auf: vage sichtbar, grau und geisterhaft. Reacher blieb in der Mitte der unbefestigten Straße und überquerte dann den Friedhof. Betrat die Kirche, tastete sich die Turmtreppe hoch, fand in der Dunkelheit die Leiter und stieg in die Glockenstube hinauf. Die Turmuhr tickte laut. Lauter als am Tag. Es klang, als würde ein wahnsinniger Schmied mit einem Hammer auf einen Amboss schlagen.
Er hangelte sich unter der Antriebswelle hindurch, fand die nächste Leiter und kletterte im Dunkeln auf die Turmplattform hinaus. Kroch zur Westseite hinüber und hob
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