Tödliche Absicht
Schreibtisch liegen lassen und meine Sekretärin anweisen können, es zu übersehen. Sie hätte meine Anweisung befolgt. So wie die Raumpfleger, wenn ich ihnen befohlen hätte, das Blatt einzuschmuggeln. Auch Froelich zählt zu den Verdächtigen. Vielleicht hat sie einen Freund oder Verwandten, dessen Fingerabdrücke ebenfalls nirgends gespeichert sind. Möglicherweise inszeniert sie dieses ganze Theater, um sich spektakulär bewähren und dadurch ihre Glaubwürdigkeit erhöhen zu können.«
»Nur habe ich nichts inszeniert«, bemerkte Froelich.
»Keiner von Ihnen ist verdächtig«, sagte Reacher.
»Wieso nicht?«
»Weil Froelich freiwillig zu mir gekommen ist, obwohl sie mich aus Erzählungen meines Bruders kannte. Und Sie haben uns engagiert, gleich nachdem Sie sich über unsere militärische Laufbahn informiert hatten. Keiner von Ihnen hätte so gehandelt, wenn Sie etwas verbergen müssten. Viel zu riskant.«
»Vielleicht halten wir uns für schlauer als Sie. Interne Ermittlungen, bei denen wir nicht auffliegen, wären die beste Tarnung, die es gibt.«
Reacher schüttelte den Kopf. »So dumm ist keiner von Ihnen beiden.«
»Gut«, sagte Stuyvesant. Er wirkte zufrieden. »Dann sollten wir uns auf einen neidischen Konkurrenten irgendwo in der Abteilung einigen. Vermutlich arbeitet er mit den Raumpflegern zusammen.«
»Oder sie«, warf Froelich ein.
»Wo sind die Raumpfleger jetzt?«, fragte Reacher.
»Vom Dienst suspendiert«, antwortete Stuyvesant. »Bei vollem Lohn zu Hause. Sie leben zusammen. Eine der Frauen ist die Ehefrau des Mannes, die andere seine Schwägerin. Ein anderes Team macht Überstunden, um sie zu ersetzen, und kostet mich ein Vermögen.«
»Wie lautet ihre Story?«
»Sie wissen von nichts. Sie haben das Blatt Papier nicht mitgebracht, es nie gesehen. Es lag nicht da, als sie in meinem Büro waren.«
»Aber Sie glauben ihnen nicht.«
Stuyvesant schwieg lange. Er zupfte an seinen Manschetten herum, dann legte er beide Hände wieder flach auf die Tischplatte.
»Sie sind vertrauenswürdig«, sagte er dann. »Und ziemlich nervös, weil man sie verdächtigt. Aufgeregt, sogar ängstlich. Aber auch ruhig . Als könnten wir ihnen nichts nachweisen, weil sie unschuldig sind. Sie haben einen Lügendetektortest bestanden. Alle drei.«
»Also glauben Sie ihnen.«
Stuyvesant schüttelte den Kopf. »Nein. Wie denn auch? Sie haben das Überwachungsvideo gesehen. Wer außer ihnen soll das verdammte Ding auf meinen Schreibtisch gelegt haben? Ein Gespenst?«
»Was vermuten Sie also?«
»Ich glaube, dass jemand hier im Haus, den sie kennen, sie dazu aufgefordert und ihnen erklärt hat, dies sei ein routinemäßiger Test, vielleicht auch eine Übung oder ein Geheimauftrag. Ihnen versichert hat, sie hätten nichts zu befürchten. Sie darauf vorbereitet hat, was anschließend folgen würde: die Auswertung des Videos, die Vernehmung und der Lügendetektortest. Ich denke, dass Leute, die man mit solchen Informationen beruhigt, eine Befragung mit dem Lügendetektor überstehen. Wenn sie der Überzeugung sind, nichts Unrechtes getan zu haben und keine nachteiligen Folgen befürchten zu müssen. Wenn sie glauben, der Abteilung auf irgendeine Weise nützlich gewesen zu sein.«
»Haben Sie darüber schon mit ihnen gesprochen?«
Stuyvesant schüttelte wieder den Kopf. »Das ist dann Ihr Job«, sagte er. »Ich habe kein Talent für Vernehmungen.«
Er ging ebenso plötzlich, wie er gekommen war. Stand einfach auf und verließ den Konferenzraum. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Reacher, Neagley und Froelich blieben an dem langen Tisch sitzend zurück.
»Sie werden nicht beliebt sein«, warnte Froelich. »Interne Ermittler sind das nie.«
»Ich bin nicht daran interessiert, beliebt zu sein«, meinte Reacher.
»Ich hab schon einen Job«, verkündete Neagley.
»Nimm einfach Urlaub«, bat Reacher. »Bleib hier, mach dich mit mir unbeliebt.«
»Gibt’s dafür Geld?«
»Natürlich«, sagte Froelich.
Neagley zuckte mit den Schultern. »Okay. Ich denke, meine Partner könnten das als prestigefördernd betrachten. Wer bekommt schon einen staatlichen Ermittlungsauftrag? Ich müsste ins Hotel zurückfahren und ein paar Telefongespräche erledigen, um in Erfahrung zu bringen, ob sie eine Zeit lang ohne mich auskommen können.«
»Wollen wir nicht erst was essen gehen?«, fragte Froelich.
Neagley schüttelte den Kopf. »Nein, ich lass mir etwas aufs Zimmer bringen. Geht ohne mich.«
Sie gingen durch das
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