Tödliche Absicht
Ihnen, da Sie sein nächster Verwandter sind.«
»Das war ich wohl«, bestätigte er.
»Hier ist auch noch ein Karton«, fuhr sie fort. »Mit Sachen, die er dagelassen und nie abgeholt hat.«
Er folgte ihrem Blick und sah unter den Anzügen einen großen Karton stehen.
»Erzählen Sie mir von Molly Beth Gordon«, forderte er sie auf.
»Was ist mit ihr?«
»Nach dem Tod der beiden hatte ich irgendwie den Eindruck, sie hätten etwas miteinander gehabt.«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie haben sich nahe gestanden, das stimmt. Aber sie war seine Assistentin, und er hätte sich nie mit jemandem aus dem Dienst eingelassen.«
»Warum haben Sie sich getrennt?«, fragte er.
Unten schrillte die Klingel. In der Stille des Hauses klang dieses Geräusch sehr laut.
»Unser Essen«, sagte Froelich.
Sie gingen hinunter und aßen dann am Küchentisch sitzend, ohne zu reden. Ein merkwürdig intimes und trotzdem distanziertes Beisammensein. Als säße man auf einem Langstreckenflug neben einem Fremden. Man fühlt sich verbunden, aber zugleich auch nicht.
»Sie können heute Nacht hier bleiben«, sagte sie. »Wenn Sie wollen.«
»Ich hab mein Hotelzimmer noch.«
Sie nickte. »Dann ziehen Sie eben morgen um. Sie können von hier aus arbeiten.«
»Was ist mit Neagley?«
Einen Moment lang Schweigen.
»Sie auch, wenn sie will. Unter dem Dach befindet sich ein weiteres Gästezimmer.«
»Okay«, sagte er.
Sie beendeten ihre Mahlzeit. Er warf die Packungen in den Abfall und spülte die Teller ab. Sie schaltete die Spülmaschine ein. Dann klingelte das Telefon. Sie ging ins Wohnzimmer, um den Anruf entgegenzunehmen. Sprach nicht sehr lange und kam zurück.
»Das war Stuyvesant«, sagte sie. »Er gibt Ihnen offiziell grünes Licht.«
Er nickte. »Rufen Sie Neagley an, und sagen Sie ihr, dass sie herkommen soll.«
»Jetzt?«
»Hat man ein Problem, muss man’s lösen«, erwiderte er. »Das ist meine Art. Sagen Sie ihr, dass sie in einer halben Stunde vor dem Hotel sein soll.«
»Wo wollen Sie anfangen?«
»Mit den Videos«, antwortete er. »Ich will mir die Aufnahmen noch mal ansehen und mit dem Kerl reden, der für die Videoüberwachung zuständig ist.«
Eine halbe Stunde später holten sie Neagley vor dem Hoteleingang ab. Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt einen schwarzen Hosenanzug mit kurzer Jacke. Die Hose war eng geschnitten und sah von hinten verdammt gut aus, fand Reacher. Auch Froelich fand das, äußerte sich aber nicht dazu. Sie fuhren los und waren fünf Minuten später wieder beim Secret Service. Froelich verschwand sofort in ihrem Büro. Reacher und Neagley blieben bei dem Agenten, der für die Videoüberwachung zuständig war – ein kleiner, hagerer, nervöser Mann in Freizeitkleidung, den man kurzfristig gerufen hatte. Er wirkte leicht weggetreten, als er die beiden in einen winzigen Raum voller Stahlregale mit Videorecordern führte. Eine Wand verschwand ganz hinter einem weiteren Regal mit Hunderten von VHS-Kassetten, ordentlich in schwarzen Plastikboxen aufgereiht. Die Recorder selbst waren schlichte graue Industriegeräte. Der winzige Raum war voller sorgfältig verlegter Kabel und an den Wänden hängender Dienstanweisungen. Kleine Elektromotoren surrten, und der Geruch warmer Schaltungen stieg einem in die Nase.
»Das System funktioniert eigentlich automatisch«, erklärte der Mann. »Zu jeder Kamera gehören vier Recorder mit jeweils sechs Stunden Laufzeit, deshalb wechseln wir einmal pro Tag alle Bänder, archivieren sie, bewahren sie drei Monate auf, löschen sie und verwenden sie dann wieder.«
»Wo sind die Originale aus der fraglichen Nacht?«, erkundigte sich Reacher.
»Gleich hier«, sagte der Mann. Er wühlte in seiner Tasche und zog einen Ring mit kleinen Messingschlüsseln heraus. Ging in dem beengten Raum in die Hocke, sperrte einen niedrigen Schrank auf und holte drei schwarze Boxen heraus.
»Das sind die drei, die ich für Froelich kopiert habe«, sagte er.
»Können wir uns die irgendwo ansehen?«
»Sie sind nicht anders als die Kopien.«
»Durchs Kopieren gehen Details verloren«, meinte Reacher. »Regel Nummer eins: Immer mit den Originalen anfangen.«
»Okay«, sagte der Mann. »Sie können sie sich gleich hier ansehen.«
Er richtete sich auf, schob einige Geräte auf einer Werkbank zur Seite, drehte einen kleinen Monitor in ihre Richtung und schaltete einen einzelnen Videorecorder ein. Auf dem Bildschirm erschien ein leeres graues Quadrat.
»Für diese Dinger
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