Tödliche Aktien
Vorzeigeunternehmer in Zeitschriften wie »Business Week« und »Capital«. Natürlich war Jenson Computer der wichtigste Kunde von FairSystems. Unser Überleben hing von ihm ab.
»Warum haben Sie mir das nicht früher gesagt?«
»Ich habe nicht daran gedacht.«
Natürlich hatte sie daran gedacht. »Hören Sie, Rachel!«
Sie richtete sich auf und sah mir in die Augen. »Nun gut, er wollte Sie auf keinen Fall sehen. Ich habe ihm gesagt, daß wir Sie nicht übergehen könnten.«
Das baute mich nicht gerade auf. Es sprach Bände, wenn der Chef unseres größten Kunden es nicht für der Mühe wert hielt, mit mir zu reden.
»Was hat er gegen mich?« fragte ich.
»Sie kommen aus der City. Er haßt die City. Eigentlich haßt er die Wall Street, aber wo liegt der Unterschied?«
Da hatte sie recht. »Warum?«
»Na ja, Jenson Computer stand in den achtziger Jahren phantastisch da. Jenson war der Held. Aber in den letzten Jahren ist der Preis für PCs ständig gefallen, so daß selbst Jenson Computer Geld verlor. Er saß in der Klemme. In den oberen Preisklassen drückten IBM und Compaq die Preise, so daß sie ihm Konkurrenz machten, während gleichzeitig Taiwan und Korea immer mehr Billigangebote auf den Markt brachten. Vor zwei Jahren hat er einen Chiphersteller aufgekauft, aber das hat sich nicht ausgezahlt. Schwer zu sagen, was mit dem Unternehmen ist. Jedenfalls ist der Kurs gefallen.« Sie streifte die Zigarettenasche in einen Kaffeebecher ab. »Und so fing die Wall Street an, Jagd auf Jenson zu machen. Er ist abgeschrieben. Schnee von gestern.«
»Und das gefällt ihm nicht.«
»Das können Sie laut sagen. Carl hat ein überentwickeltes Ego. Noch keine vierzig, und schon zum alten Eisen? Das paßt ihm ganz und gar nicht.«
»Und warum kommt er her?«
»Um über ein paar Dinge zu sprechen, an denen wir gemeinsam arbeiten.«
»Zum Beispiel über das Projekt Plattform?«
Rachel wußte, daß Leugnen zwecklos war. Sie nickte.
»Was zum Teufel hat es mit dem Projekt Plattform auf sich, Rachel? Ich muß es wissen.«
»Das darf ich Ihnen nicht sagen«, sagte Rachel. »Es tut mir leid, aber es geht nicht. Carl Jenson hat es mir strikt verboten. Ihre City-Kontakte machen ihm Sorge und die Tatsache, daß Sie nur drei Monate bleiben. Er ist ein krankhafter Geheimniskrämer. Sie müssen mir vertrauen.« Ein bittender Ausdruck lag in ihren großen braunen Augen. »Es ist für uns alle am besten, wenn ich Ihnen nichts erzähle.«
Nachdenklich sah ich sie an. Ich hatte Vertrauen zu ihr.
»Okay«, sagte ich. »Weiß David davon?« Es war kindisch, aber ich wollte nicht, daß David Baker Geheimnisse kannte, die mir verschlossen waren.
»Nein. Er weiß, daß es das Projekt gibt, aber sonst weiß er nichts darüber. Eingeweiht sind außer mir nur Keith, Andy und Sorenson.«
»Sorenson weiß Bescheid?«
»Ja, ich glaube, Richard hat ihm davon berichtet. Er hat es vorher mit Jenson abgeklärt.«
»Und können Sie es nicht auch in meinem Fall mit Jenson abklären?«
»Ich hab’s versucht. Das hab’ ich doch gesagt. Er will es nicht.«
Ich lehnte mich zurück und dachte nach. Es behagte mir überhaupt nicht, daß ich nichts über das Projekt Plattform wußte. Aber ich hatte bei meinen Börsenentscheidungen stets darauf geachtet, daß mir die Gefühle nicht in die Quere kamen, und wollte mit diesem Fehler jetzt nicht anfangen. Ich hatte Vertrauen zu Rachel und nahm ihr ab, daß es ihr nur um den Erfolg des Projekts ging. Obgleich ich keine Ahnung hatte, was es mit dem Projekt auf sich hatte, wußte ich doch, daß die Firma darauf angewiesen war. Trotzdem war es natürlich schwierig, das Unternehmen zu führen, ohne etwas über sein wichtigstes Vorhaben zu wissen.
»Okay«, sagte ich. »Aber versuchen Sie, ihm klarzumachen, daß er mir vertrauen kann. Wenn ich unser Unternehmen vernünftig leiten soll, muß ich über alles informiert sein.«
Rachel lächelte. »Gut. Ich wußte, daß Sie Verständnis haben würden. Und ich will mein Bestes tun, damit er seine Meinung über Sie ändert.« Sie stand auf. Auf dem Weg nach draußen blieb sie kurz stehen, warf einen Blick auf mein Hemd und meine Hose und sagte: »Übrigens, ich finde es gut, daß Sie heute keinen Anzug anhaben.«
Ich mußte lachen. Diese Frau, die nun wahrlich kein Ausbund an Eleganz war, hatte die Stirn, mir Ratschläge in Sachen Kleidung zu geben. Zu allem Überfluß hatte sie vermutlich auch noch recht. Dann verschwand sie endgültig zu ihrem Treffen
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