Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tödliche Aktien

Titel: Tödliche Aktien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
Vom Netzwerk:
mit einer der Legenden der Computerindustrie.
    Ich saß in meinem Büro und wartete. Rachel hatte gesagt, sie und Jenson würden irgendwann nach drei vorbeischauen. Jetzt war es halb sechs. Seit zweieinhalb Stunden saß ich an meinem Schreibtisch und tat praktisch nichts. Ed hatte eine Nachricht hinterlassen, aber mir war nicht nach einem Gespräch mit ihm zumute. Harrison Brothers war in weite Ferne gerückt.
    Ich hatte ein paar Anrufe von Journalisten beantwortet, die etwas über die BOWL-Anschuldigungen wissen wollten. Dazu hatte ich lediglich erklärt, vor einiger Zeit habe uns jemand mitgeteilt, er wolle eine entsprechende Klage einreichen. Dann habe er jedoch darauf verzichtet. Nein, einen weiteren Kommentar hätte ich nicht abzugeben. Ich wollte ihrer Neugier sowenig Nahrung wie möglich geben.
    Schließlich rief ich Karen an. »Harrison.«
    »Hallo, ich bin’s.«
    »Oh, hallo. Ist was?« Sie schien in Eile zu sein.
    »Kannst du den Kurs von FairSystems für mich nachsehen?«
    »Bleib dran.« Ein paar Sekunden später war ihre Stimme wieder zu hören. »Drei Dollar. Wie kommt das?«
    Ich erzählte ihr von der BOWL-Demo.
    »Warte mal eben. Ich guck’ nach, ob Reuters was darüber bringt. Ach ja, hier.«
    Sie las es mir vor. Es waren nur ein paar Zeilen, in denen von »unbestätigten Meldungen« über einen tödlichen Unfall nach Benutzung eines VR-Gerätes die Rede war.
    »Na, das hört sich doch ziemlich unbestimmt an«, sagte sie.
    »Trotzdem, wenn Wagner es gesehen hat, gibt ihm das reichlich Stoff, um seine Kunden abzuschrecken«, meinte ich düster. »Und für jeden, der hinter unseren Aktien her ist, ist es eine ideale Gelegenheit zum Kauf.«
    »Klingt einleuchtend«, sagte Karen. »Tut mir leid, ich hab’ einen Kunden in der anderen Leitung. Ich muß jetzt.«
    »Klar. Auf jeden Fall vielen Dank.«
    »Gern geschehen. Bis dann.«
    Drei Dollar! Eine Katastrophe.
    Und ich konnte nichts tun, als auf Jenson zu warten. Meine Nervosität wuchs. Ich war hin- und hergerissen zwischen dem Ärger, daß ich nichts über das Projekt Plattform wußte, und der Angst, Jenson könnte den Eindruck gewinnen, man hätte seinen Wunsch nach einer vertraulichen Behandlung des Projekts mißachtet.
    Er hielt mich also für einen Wall-Street-Hai? Ich nahm mir vor, alles zu tun, um dieser Einschätzung entgegenzutreten. Ich war froh, auf den Anzug verzichtet zu haben, fühlte mich vor dieser schwierigen Geschäftsbesprechung aber doch ein bißchen nackt ohne ihn.
    Es klopfte, und Rachel führte Carl Jenson in mein Büro. Energisch betrat er den Raum und füllte ihn sogleich mit seiner Präsenz.
    Wenn ich je einen Menschen kennengelernt hatte, der Reichtum und Macht ausstrahlte, dann war es dieser Mann, aber er tat es in einer Weise, die mir überhaupt nicht vertraut war. Er war klein und hatte eine Neigung zum Fettansatz. Sein rotweiß kariertes Hemd steckte in einer messerscharf gebügelten gelben Hose. Ein Goldkettchen verschwand in dem dichten Haarteppich, der ihm aus dem offenen Hemd quoll. Sein Gesicht war etwas aufgedunsen, das krause, dunkle Haar hatte er zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden. Ungewöhnlich an ihm waren vor allem seine Augen.
    Klein, schwarz und tiefliegend, waren sie stets in Bewegung. Während der zwei Sekunden, die sie auf meinem Gesicht verweilten, vermittelten sie mir einen intensiven Eindruck von Intelligenz und Energie. Es war eine regelrechte Erleichterung, als sie sich wieder anderen Dingen in meinem Büro zuwandten.
    »Freut mich, Sie kennenzulernen. Carl Jenson.«
    »Ganz meinerseits.« Ich spürte einen raschen Händedruck, dann setzte er sich an das kleine Tischchen. Rachel setzte sich neben ihn.
    Sogleich riß er das Gespräch an sich. Ich hatte das Gefühl, von einer Lawine erfaßt zu werden.
    »Die Geschichte mit Richard tut mir schrecklich leid. Er war ein echtes Genie. In zehn Jahren wird man ihn den Großvater dieser Industrie nennen. Jammerschade, daß er’s nicht mehr erleben kann.« Einen Moment lang begegneten seine Augen meinem Blick. Er meinte es ehrlich.
    »Danke«, erwiderte ich.
    Jenson wandte sich dem nächsten Thema zu. »Rachel sagt, während der nächsten drei Monate schmeißen Sie den Laden hier. Stimmt das?«
    »Ja.«
    »Haben Sie Ahnung von Virtueller Realität?«
    »Nicht viel«, sagte ich.
    »Rachel sagt, Sie sind im Finanzgeschäft. Richtig?«
    »Ja.«
    Wieder ruhten seine Augen prüfend auf meinem Gesicht. »Ich finde, Sie sehen nicht wie ein Banker aus.«

Weitere Kostenlose Bücher