Tödliche Aktien
wesentlich von der Wahrsagerei aus dem Kaffeesatz. Die Aktien sind gefallen, weil das Unternehmen in Schwierigkeiten steckt. So einfach ist das.«
»Aber wie sind die Investoren dahintergekommen?«
»Wer weiß? Da hat jemand auf einer Konferenz jemand anderen getroffen und ein paar Gerüchte aufgeschnappt. An den Märkten spricht sich so was herum. Deshalb funktionieren sie.«
»Aber was ist mit dem Umsatzvolumen? Steve hat gesagt, es sei höchst ungewöhnlich. Und auch Richards Analyse hat gezeigt, daß es merkwürdig ist.«
»Ich habe mich umgehört. Niemand weiß etwas. Tut mir leid, Mark.«
»Kannst du es noch mal versuchen?«
Sie lächelte und zuckte mit den Achseln. »Okay, versuchen wir’s noch mal.«
Ich ging an meinen Schreibtisch zurück, um mich zwei Stunden später zu erkundigen, was Steve und Karen in Erfahrung gebracht hatten. Doch keiner von beiden hatten etwas Ungewöhnliches gehört.
Ich gab Steve meine Nummer in Glenrothes. »Bitte rufen Sie mich an, wenn Sie was hören.«
»Mach’ ich«, sagte Steve. »Bin selber neugierig. Die Sache stinkt. Da bin ich sicher.«
Freitag war mein letzter Tag. Ich benutzte ihn dazu, mit Ed die Märkte durchzusehen, wobei ich meine vorhandenen Positionen überprüfte und einige neue in Erwägung zog. Jede Position, die ich mir zulegte, mußte solide sein. Ich war davon überzeugt, daß weitere Marktturbulenzen unmittelbar bevorstanden, und nur langfristige Transaktionen würden sie unbeschadet überstehen.
Mit Hilfe von Bondscape versuchte ich, mir einen Überblick über das Marktgeschehen seit dem Zusammenbruch von vor drei Wochen zu verschaffen. Es war wirklich erstaunlich, zu beobachten, wie der Markt sich bewegte. Am stärksten beeindruckte mich, daß zahlreiche Werte, die im Anschluß an Greenspans schicksalhafte Ankündigung völlig aus dem Ruder gelaufen waren, sich allmählich wieder auf das ursprüngliche Niveau einpendelten. Beispielsweise hatte das Renault-Gebäude, das mir schon bei der ersten Bondscape-Benutzung aufgefallen war, wieder seine Ausgangshöhe erreicht. Das schlug bei uns, nebenbei bemerkt, mit einem Gewinn von einer Million Dollar zu Buche. Das war gutes Geld, das ich nicht aufs Spiel setzen wollte, deshalb verkaufte ich unsere Anleihen. Mehr als die Hälfte der 2,4 Millionen Dollar, die wir an einem einzigen Tag verloren hatten, war damit wieder wettgemacht. Noch immer hatte Bob Forrester Einwände gegen Bondscape, mußte aber zugeben, daß es sich bislang gut bewährt hatte.
Die Transaktion mit den zehnjährigen und zweijährigen Staatsanleihen mußte noch weiterlaufen, deshalb behielt ich die Position und vereinbarte mit Ed eine bestimmte Marke, bei der er sie abstoßen sollte. Außerdem sagte ich ihm, wenn er nicht mehr weiterwisse, solle er mich anrufen oder sich – in Notfällen – an Greg wenden. Ich befürchtete nämlich, daß Etienne dazwischenfunken könnte, wenn ich fort war.
Greg war begeistert, als er von meinem vorübergehenden Karrieresprung hörte, und wünschte mir viel Glück. Er versprach mir, sich während meiner Abwesenheit um Ed zu kümmern.
Ich schlenderte zum Wasserspender und füllte mir einen Becher. Karen telefonierte. Unsere Blicke begegneten sich, und ihre Lippen formten ein stummes »Viel Glück!«
Noch einmal sah ich mich im Handelssaal um, dann ging ich. Gerade noch rechtzeitig, um zu packen und das letzte Flugzeug nach Edinburgh zu erwischen.
So begann meine Karriere als Geschäftsführender Direktor eines High-Tech-Unternehmens.
Und ich hatte nicht die geringste Ahnung, was mich da erwartete.
ELF
Ich war überaus nervös, als ich den BMW auf dem Parkplatz vor dem Werk abstellte. Es war mein erster Arbeitstag in der neuen Funktion. Ich hatte Angst, war aber zugleich auch voller Zuversicht. Ich war entschlossen, mich in die Arbeitsabläufe bei FairSystems einzuarbeiten und dann dafür zu sorgen, daß die Firma noch ein bißchen erfolgreicher wurde.
Die Firmenleitung tagte um neun Uhr in dem High-Tech-Konferenzsaal, den ich bereits kennengelernt hatte. Das Gremium setzte sich zusammen aus Sorenson und Rachel, David, Willie und Nigel Young, dem zweiten Aufsichtsratsmitglied. Young war eine der Wirtschaftsgrößen Schottlands, Direktor der angesehenen Handelsbank Muir Campion in Edinburgh und saß außerdem im Aufsichtsrat von einem halben Dutzend anderer schottischer Unternehmen. Er trat weltläufig auf, und seine gepflegte Sprache verriet weit mehr die teure Privatschule als seine
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