Tödliche Beute
Aspekte des
grindarap
verkneife ich mir jeden Kommentar. Viele Dänen halten dieses Spektakel für ein barbarisches und überflüssiges Ritual.
Wesentlich wichtiger sind die ökonomischen Erwägungen.
Firmen, die hier Fisch kaufen oder nach Öl bohren könnten, möchten in der Öffentlichkeit nicht als Geschäftsfreunde von Walmördern dastehen. Und wenn die Färinger ihre Rechnungen nicht bezahlen können, muss Kopenhagen das Scheckbuch zücken.«
»So viel zum Thema Unabhängigkeit.«
Becker lächelte erneut. »Die dänische Regierung möchte den Fall schnell und mit einem Minimum an internationaler Aufmerksamkeit erledigen. Diese SOS-Leute sollen nicht als tapfere Märtyrer erscheinen, die zwar unbesonnen, aber als Verteidiger hilfloser Tiere gehandelt haben.«
»Und welche Rolle soll ich dabei spielen?«
»Schildern Sie bei Ihrer Aussage nicht nur die technischen Einzelheiten. Wir wissen,
wodurch
der Kreuzer gesunken ist. Gehen Sie vor allem auf das menschliche Leid ein, dessen Zeuge Sie geworden sind. Es ist unsere Absicht, Ryan vor den Augen der Öffentlichkeit als Schuldigen zu überführen, damit wir diese skrupellosen Rowdys dauerhaft des Landes verweisen können. Wir möchten sicherstellen, dass die Welt sie als Ausgestoßene betrachtet, nicht als Opfer staatlicher Willkür. Dann wird ein solches Unglück vielleicht nie wieder geschehen.«
»Und falls Ryan überhaupt keine Schuld trifft?«
»Seine Unschuld oder Schuld ist meiner Regierung egal.
Es stehen wichtigere Dinge auf dem Spiel.«
»Wie Sie schon sagten, eine heikle Angelegenheit. Ich werde berichten, was ich gesehen habe. Mehr kann ich nicht versprechen.«
Becker nickte. »In Ordnung. Wollen wir hineingehen?«
Der Polizist öffnete die Tür, und sie betraten den Anhörungssaal. Austin ließ den Blick durch den großen, dunkel vertäfelten Raum schweifen und musterte die vielen Anzugträger, vermutlich Regierungsvertreter und Rechtsanwälte, die mehrere der Stuhlreihen füllten. Er selbst trug seine übliche Arbeitskluft aus Jeans, Rollkragenpullover und Anorak, denn an Bord eines Schiffs benötigte er keine elegantere Kleidung. Hinter einem langen Holztisch im vorderen Teil des Saals hatten weitere Anzugträger Platz genommen, und rechts von ihnen saß ein Mann in Uniform. Er sprach dänisch, und eine Stenographin nahm seine Aussage zu Protokoll.
Becker wies Austin einen Platz zu, setzte sich neben ihn und beugte sich zu ihm herüber. »Das ist der Beauftragte der Küstenwache«, flüsterte er. »Danach kommen Sie an die Reihe.«
Der Zeuge sprach noch einige Minuten, und dann wurde Kurts Name aufgerufen. Am Tisch saßen drei dänische Abgesandte und drei Vertreter der Färöer, vier Männer und zwei Frauen. Der Vorsitzende, ein jovialer Däne mit langem Wikingergesicht, stellte sich als Richter Lundgren vor und erläuterte Austin, dass er ihm die Ausgangsfragen stellen und die anderen Angehörigen der Kommission gegebenenfalls nachhaken würden. Dies hier sei kein Gerichtsprozess, sondern nur ein Verfahren zur Sammlung vorläufiger Informationen, also würde es keine Kreuzverhöre geben. Ferner wollte Lundgren bei Bedarf als Dolmetscher fungieren.
Austin nahm auf dem Stuhl Platz und schilderte freimütig den Ablauf der Rettungsaktion, immer wieder unterbrochen von kurzen Nachfragen. Es war gar nicht nötig, die Qualen der Crew in ihrem dunklen und stickigen Grab besonders auszuschmücken. Beckers Miene verriet ihm, dass der Mann mit der Aussage durchaus zufrieden war. Nach einer Dreiviertelstunde bedankte die Kommission sich bei Austin und entließ ihn aus dem Zeugenstand. Er wollte eigentlich sogleich aufbrechen, entschied sich dann aber anders, als der Vorsitzende auf Dänisch und Englisch verkündete, dass nun der Kapitän der
Sea Sentinel
gehört werde.
Angesichts der vielen Augenzeugenberichte war Austin neugierig, wie der Mann sich überhaupt verteidigen wollte.
Die Tür ging auf, und zwei Polizisten traten ein.
Zwischen ihnen ging ein hoch gewachsener und stämmig gebauter Mann Mitte vierzig mit goldbesetzter Uniform, ordentlich gescheiteltem Haar und einem rotblonden Backen- und Kinnbart, der Kurt unwillkürlich an Kapitän Ahab denken ließ.
Der Vorsitzende bat den Zeugen, Platz zu nehmen und sich vorzustellen.
»Ich heiße Marcus Ryan«, sagte der Mann und schaute mit seinen grauen Augen offen in die Gesichter der Zuschauer. »Ich bin leitender Direktor der Sentinels of the Sea und Kapitän des SOS-Flaggschiffs, der
Sea
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