Toedliche Blumen
Schließlich hatte er sie alle im Stich gelassen.
»Der Keller ist ziemlich trocken und gut aufgeräumt«, erwähnte sie, um überhaupt etwas zu sagen und die Gedanken an ihre auseinander gebrochene Familie hinter sich zu lassen. »Bei dem Gedanken an die Anzahl der Wege, die hinunter zur Waschküche und von ihr wegführen, wird mir ganz übel«, fügte sie hinzu. »Insgesamt drei Fluchtmöglichkeiten, wenn man die zwei Treppenaufgänge und die Tür zum Hof mitrechnet«, sagte sie im selben Augenblick, als die Tür aufgerissen wurde und Erika Ljung vor ihnen stand. »Und Verstecke gibt es hier auch jede Menge«, schloss sie, doch Lundin hörte schon nicht mehr zu.
»Mindestens«, sagte er von ferne, während er Erika zulächelte.
Sie stellten sich zwischen Kabel und Koffer, in denen sich die Geräte der Techniker befanden, und teilten die Arbeit unter sich auf, die vor allem darin bestand, die Nachbarn zu verhören. Lundin erhielt Doris Västlunds Wohnungsschlüssel von Benny, der sie in den Taschen ihrer zurückgelassenen Jacke gefunden hatte. Louise und Lundin brachen auf, um sich dort kurz umzusehen.
Es handelte sich um eine geräumige Zweizimmerwohnung mit hohen Decken und weiß gestrichenen Türen, die geradezu überladen war und dadurch ziemlich eng und klein wirkte.
»Es scheint, als wäre sie aus einem Herrenhaus hierher gezogen und hätte versucht, das gesamte Mobiliar in zwei Zimmern unterzubringen«, brummelte Lundin.
»Pass auf, dass du nichts umreißt«, mahnte Louise ihn, als er versuchte, sich an einem kleinen, ovalen Tisch vorbeizupressen, der übersät war mit Porzellanfiguren – in der Mehrzahl Hunde.
»Es scheint dänisches Porzellan zu sein«, erwiderte er, während er auf die gutmütig dreinschauenden Vierbeiner hinunterstarrte.
»Königlich dänisches.«
Sie hatten die Wohnung direkt durch die Küche betreten. Auf der gestreiften Tischdecke standen zwei Kaffeetassen und ein leerer Kuchenteller. Lundin öffnete die Tür des Unterschranks an der Spüle und erblickte im Mülleimer eine Papiertüte mit dem Emblem der alteingesessenen Konditorei Nilssons.
»Heute nichts Selbstgebackenes«, stellte er fest.
»Wie bitte?«
»Die alte Dame hat nicht selber gebacken, sondern bei Nilssons eingekauft.«
»Vernünftig«, meinte Louise und stellte sich auf den handgewebten Teppich im Nebenraum, der eine Art Wohnzimmer darstellte.
»Ich werde Benny bitten, die Becher mitzunehmen.«
»Ja, tu das. Damit wir erfahren, wer unerwartet zu Besuch gekommen ist.«
Die Zimmer lagen in einer Reihe hintereinander. Zum Besuchereingang am anderen Ende der Wohnung gehörte ein kleiner Flur, in dem sich ein Garderobenständer, an dem einige Jacken und Mäntel hingen, eine in der Wand verankerte Hutablage, ein Rokokostuhl mit weinrotem Samtbezug und ein Spiegel mit mattem Goldrahmen befanden. Die dunkelblaue Tapete war mit breiten Goldrändern versehen.
Schweigend gingen sie durch Schlaf- und Wohnzimmer. Nichts war zerschlagen oder aufgebrochen. Keine herausgezogenen Schubladen oder umgeworfenen Gegenstände. Bilder mit Naturmotiven, alle in ähnlichem Stil, hingen in goldenen Rahmen über dem Sofa.
Auf dem Bett im Schlafzimmer lag ein gesteppter Überwurf mit gelben Rosen auf schwarzem Grund. Fast schon wieder modern, dachte Louise. Drei Kissen in unterschiedlichen Gelbtönen waren dekorativ obenauf drapiert. Am Fußende des Bettes stand ein beleuchtbarer Schminktisch, auf dem sich Haarbürsten, Puderdöschen, Parfümflaschen und ein Korb voller Lippenstifte drängten. Über die Kanten fiel ein faltiger Blumenstoff mit roten und rosafarbenen Rosen auf weißem Grund. Zu dem Arrangement gehörte ein mit weißem Kunstpelz bezogener Hocker. Louise war fasziniert und ganz betört von dieser Schwelgerei in weiblicher Eitelkeit. Vor allem aber erstaunte sie, dass dies alles einer älteren Dame gehörte. Sie fühlte sich wie in einen alten Film versetzt. Der Anblick löste bei ihr sogar eine Art Neid aus, der jedoch nicht so weit ging, dass sie unmittelbar nach ähnlichen Möbelstücken in Antiquitätenläden oder auf Flohmärkten Ausschau gehalten hätte. Auf der anderen Seite des Raums, an einem der beiden Fenster, stand ein alter Schreibtisch aus massiver Eiche, dessen Schubladen fein säuberlich verschlossen waren.
»Den Inhalt heben wir für morgen auf«, entschied Louise.
»Es muss die Alte aus der Wohnung über der Waschküche gewesen sein«, sagte die junge Frau mit selbstsicherer Miene.
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