Tödliche Ernte
Gutachten, etwas, das wir über jeden potenziellen Gruppenteilnehmer anfertigen. Mary hatte die Daten eingetragen, Gert hatte das Gutachten erstellt. Blessing war schwer depressiv und nahm vermutlich Drogen, um seinen seelischen Schmerz zu unterdrücken. Der einzige offizielle Job, den er seit dem Tod seiner Tochter ausgeübt hatte, war die Stelle im Bowling-Center gewesen. Er hatte eine Frau verbal beleidigt, indem er sie als »Lesbenschlampe« bezeichnet hatte. Es handelte sich um die Vermieterin seiner Tochter, und er hatte ihr vorgeworfen, Moira nachzustellen, die damals neunzehn war und als vielversprechende Flötistin das Emerson College besuchte.
Wie bei so vielen Angehörigen von Mordopfern war Blessings Trauer auf Eis gelegt, die Verarbeitung abgewürgt. Die Medien waren über ihn hergefallen, und wie so viele Familienangehörige von Opfern, empfand auch er große Wut, großen Frust und große Angst. Obwohl er versucht hatte, es zu verbergen, versetzte ihn die Vorstellung, dem gleichen Killer zum Opfer zu fallen, in Panik.
In den Unterlagen war auch von seiner Weigerung die Rede, sich unter vier Augen beraten zu lassen. Die fortgesetzten Zusammenstöße mit der Vermieterin seiner Tochter hatten zu seiner Verhaftung geführt, und die Teilnahme an unseren Sitzungen war eine der Bedingungen, damit er nicht ins Gefängnis kam.
Er war wütend. Ich hatte live miterlebt, wie ausfallend er werden konnte. Warum also hatte er nicht Moiras Vermieterin etwas angetan, der Frau, die er für die Mörderin seiner Tochter hielt, sondern sich stattdessen Chesa ausgesucht?
Ich legte Blessings Akte für eine Minute zur Seite und ging vom Kaffee zu einem großartigen Mourvedre von Cline über. Jakes snobistischer Weingeschmack war mir verhasst, aber nichts war in solchen Momenten besser als ein guter Tropfen Rotwein.
Ich schlug die Zusammenfassung über den Mord an Moira Blessing auf. Sie war anscheinend ein zurückhaltendes ruhiges Mädchen gewesen, das ganz in seiner Musik aufging. Ihr Tod war so grauenvoll gewesen, wie Blessing es in der Gruppe beschrieben hatte. Der Killer hatte sie erwürgt und anschließend verstümmelt. Sie hatte sich nicht gewehrt, und man hatte Spuren von Ecstasy in ihrem Blut gefunden. Ihr Vater behauptete, das sei lächerlich und dass sie nie so eine Droge genommen hätte.
Der gut vorbereitete Killer hatte dann ihre Hände als Trophäen an sich genommen – wie es schien, hatte er sie mit einer scharfen Axt oder etwas Ähnlichem abgetrennt. Der sexuelle Missbrauch mit ihrer Flöte hatte nach ihrem Tod stattgefunden. Das war seltsam, aber erklärlich, weil bei diesen menschlichen Bestien Potenzstörungen nicht ungewöhnlich sind.
Am Abend ihres Todes hatten Moira und ihr Vater sich zum Essen in einem Restaurant beim Public Garden treffen wollen. Auf dem Weg zu diesem Restaurant, das an einer gut beleuchteten Straße lag, durchquerte Blessing den Park.
Du lieber Himmel. Er hatte ihre Leiche gefunden. Ich las die Mitschrift von Blessings Aussage.
Als ich durch den Park ging, um mein Mädchen zu treffen, hörte ich Moiras Flöte … spielen … sie spielte darauf … so schön, wissen Sie … Also bin ich der Musik gefolgt, musste ich einfach, sie rief nach mir … Ich bin vom Weg runter und hab ihren Namen gebrüllt … ›Moira!‹ Ich hab wieder und wieder gerufen und … und dann bin ich schräg über den Rasen … bin der Musik nach … Und das Gras … war nass … Daran erinnere ich mich, wie meine Schuhe nass geworden sind … nass … genau wie … Ich bin gestolpert … nicht gefallen, ich nicht … Wissen Sie, auf dem Boden lag etwas … was ich nicht erkennen konnte … irgendwas … lag da unter einer grünen Plane … Das war ganz komisch und plump und … Moiras Flöte hab ich auch nicht mehr gehört … und dann … dann …
Er hatte nicht weitersprechen können, doch Gerts Mitschrift besagte, dass Blessing die Plane hochgehoben und seine Tochter gefunden hatte. Wie es hieß, war sie bekleidet – Gott sei Dank hatte er sein Kind nicht nackt und mit der Flöte zwischen den Beinen gesehen. Aber er hatte die Armstümpfe bemerkt, wo ihre Hände hätten sein sollen. Er hatte geschrien und damit nicht aufgehört, bis er ein Beruhigungsmittel bekommen hatte. Schließlich hatte man ihn ins Krankenhaus gebracht.
Schreckliche, schreckliche Welt. Was für ein Monster musste dieser Killer gewesen sein, dass er Blessing so zur Leiche seiner Tochter lockte. Was konnte Blessing angestellt
Weitere Kostenlose Bücher