Tödliche Ernte
Vegetarierin. Sie war in außergewöhnlich guter Form. Es hieß, sie sei schön gewesen. Zwei Zeugen haben gesehen, wie Flynn den Fitness-Club an jenem Morgen in Begleitung einer unbekannten Person in dunkelblauer Trainingskleidung verlassen hat. Eine Zeugin behauptete, Elizabeth hätte den Arm um die Schultern des Typen gelegt. Sie hatte angeblich auch gehört, wie sie lachten.«
»Wurde der Mann je identifiziert?«, wollte ich wissen.
Reen fuhr sich über das Tattoo unter ihrem Auge. »Nein. Flynn wurde nackt und verstümmelt aufgefunden, der Torso war aufgeschlitzt, die Brüste entfernt und Leichenteile lagen im Umkreis verstreut. Ihr Geldbeutel, ihre Kleidung und ihre Sportsachen wurden nie gefunden. Und sie war vollgepumpt mit Valium. Alles deutete auf Ersticken durch eine Schnur als Todesursache hin, anschließend war sie zerstückelt und dorthin geworfen worden. Ganze Fleischbrocken fehlten, besonders an Torso und Gesicht. Alles Tierbisse. Ich sehe ihr Gesicht noch immer vor mir. Maden hatten ihre Augen aufgefressen.«
»Aber warum wurde Elizabeth zerstückelt?«, hakte ich auf der Rückfahrt zu meiner Wohnung nach. »Denk doch mal nach, Reen. Warum wurde sie nicht vergraben oder in einen tiefen See oder eine Kiesgrube geworfen? Der Killer wollte doch, dass ihre Überreste gefunden werden.«
»Um sich damit brüsten zu können«, meinte Reen.
»Genau. Oder aber er dachte, dass die Überreste ganz von Tieren aufgefressen werden.«
»In den vergangenen zwei Jahren hat in Massachusetts niemand den Stil des Mordes an Flynn kopiert. Manche meiner Kollegen glauben, der Mörder hätte den Staat verlassen.«
»Wurde ihre Ermordung als eine persönliche oder unpersönliche Tat eingestuft?«
»Unpersönlich«, sagte Reen, als wir parkten. »Killer, die ihre Opfer gut kennen, neigen nicht dazu, ihre Leichen mit der Kettensäge zu zerlegen und auf Feldern zu verteilen.«
»Stimmt, es sei denn, es handelt sich um Verrückte. Ein Serientäter? Aber es gibt keine Mordserie. Was uns zurück zu McArdles Bestattungsunternehmen bringt.«
Wir stiegen die Stufen zu meiner Wohnung hinauf. »Du erinnerst dich ja noch sehr genau an das alles.«
»So was vergisst man nicht.«
»Was ist mit dem fehlenden Vater?«
»Er war auf einem Segeltrip. War nicht zu erreichen.«
»Hast du je den Onkel getroffen?«
»Nein. Als die Polizei ihn befragen wollte, war er bereits in den Nahen Osten abgereist. Saudi-Arabien, glaube ich.«
»Vielleicht bringen ja Mrs Cheadles Alben etwas Licht in die Angelegenheit.«
Dreißig Minuten später hatten wir alle Briefe und Notizen aus Mrs Cheadles zwölf Alben herausgeklaubt; jetzt lagen sie in einem Stapel auf dem Frühstückstisch, an dem wir gearbeitet hatten.
Reen machte uns etwas zu trinken. Sie reichte mir einen Whiskyschwenker.
»Es hat mich überrascht, Briefe von Della Charles zu finden.«
»Ich weiß. Mrs Cheadle hat mich in dem Glauben gelassen, sie hätte keinen Kontakt mehr zu ihr gehabt. Aber wir haben hier Dutzende Briefe.«
»Das schlechte Gedächtnis einer alten Frau oder etwas anderes?«
»Du bist zu misstrauisch. Lass uns einfach lesen.«
Die Lektüre war hart. Della und Chesa waren tot, Mrs Cheadle lag im Koma. Von ihren Gedanken, ihren Sorgen und ihren Träumen zu hören, brachte mich ganz schön durcheinander.
Es war, als säßen sie neben mir und schauten mir über die Schulter.
»Ist dir Dellas Begeisterung für diesen Shelley aufgefallen?«, bemerkte Reen.
»Ja. Sie nannte ihn Shel.«
Sie strich sich über ihr Tattoo. »Also, etwa eine Woche vor ihrem Tod hat sie einen Mann kennengelernt. Einen ›besonderen‹ Mann. Vielleicht Blessing, der unter falschem Namen auftrat?«
»Blessing wäre der Letzte, der sich vorsichtig an eine Frau heranmacht. Der steht eher auf die Holzhammermethode. Dieser Shel aber ist offensichtlich sehr charmant. Was nicht bedeutet, dass er sie auch umgebracht hat.«
»Stimmt.«
»Wer auch immer dieser Shelley ist, er scheint Della etwas geboten zu haben, was kein anderer ihr geben konnte – Sicherheit, Geborgenheit, Respekt.«
Ich reichte ihr Mrs Cheadles Aufzeichnungen. »Ich rufe mal im Krankenhaus an.«
Mrs Cheadles Zustand war weiter kritisch. Man befürchtete zusätzlich eine Lungenentzündung.
Ich sank auf meinen Sitz zurück. Penny legte den Kopf in meinen Schoß, und ich streichelte ihre Schnauze. Es kam mir vor, als hätte ich einen siamesischen Zwilling namens Frustration.
Reen hielt einen Finger hoch. »Schau dir
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