Tödliche Ernte
Elizabeth und Della. Oder aber Angela Pisarro. Ich hatte mich auch nicht mehr bei Angelas Vater gemeldet. Und bei Dave Haywood. Oder dem kriminaltechnischen Labor.
Ich hatte Reen nicht angerufen. Und sie mich nicht.
Auch Kranak war abgetaucht.
Dottie Brylske wurde zur Ruhe gebettet und die Suche nach Blessing verstärkt. Zumindest behaupteten die Zeitungen das in den Zweizeilern, die ihnen die Erwähnung der Vorkommnisse wert war.
Es war mir nur mit Mühe gelungen, mich ins Krankenhaus zu schleppen, um Mrs Cheadle zu besuchen. Außerdem hatte ich jeden Tag angerufen, doch die Tatsache, dass ihr Körper sich in eine Art katatonische Warteschleife zurückgezogen hatte, wühlte mich noch mehr auf. Die Lungenentzündung hatte voll zugeschlagen, und so verblieb sie auf der Intensivstation.
Aber was machte das schon?
Ich wusste, dass ich depressiv war. Und es war mir so was von egal.
Bleiches Sonnenlicht fiel auf die gelbe Bettdecke. Früher Februar.
Ich hatte meinen »Mutstein« aus dem Büro mit nach Hause gebracht. Mein Vater hatte ihn für mich gemeißelt, aber ich konnte es nicht ertragen, ihn zu berühren.
Von wegen Mut. Ich war ein Wrack.
Ich griff nach meiner Kaffeetasse und trank einen Schluck.
Ich hörte, wie die Haustür aufging, dann eine Pause. Jake, der die Alarmanlage ausschaltete. Dann Schritte in Richtung meiner Wohnung.
Ich blätterte eine Seite im ersten Band von Der Herr der Ringe um. Ein Seelentröster.
»Hi, Tal.« Jake lehnte im Türrahmen. Die Jeans hing tief auf seinen Hüften, und ein Ölfleck bildete ein U auf dem Saum seines weißen T-Shirts. Er zauste Pennys Fell. »Sie bekommt nicht genug Bewegung.«
»Ich tolle jeden Tag draußen mit ihr rum«, sagte ich.
Unsere Blicke kreuzten sich. »Sie sieht nicht gut aus.«
Er meinte, ich sähe nicht gut aus. »Ihr geht’s gut, Jake.«
»Was ist mit deinem Lehrgang heute Abend?«, fragte er und verschränkte die Arme.
»Den sage ich ab.«
Sein rechtes Augenlid zuckte. Mr Sorgenvoll.
»Die Eröffnung gestern Abend war nett«, sagte ich.
»Früher hat oberflächliches Geschwätz dich immer gelangweilt.«
»Dann hab ich mich halt geändert. Außerdem gefielen mir die Arbeiten von diesem Typ.«
Seine grauen Augen wurden dunkler. »Ich fand, es hatte was Gezwungenes. Hab ich gestern schon gesagt.«
»Hast du? Ups, das muss mir wohl entgangen sein. Tut mir leid.«
»Verflucht, Tally, du liegst seit einer Woche nur in diesem Bett und …«
»Ich muss dieses Buch noch fertiglesen, Jake. Wir sehen uns.« Er trat mit dem Absatz seines Stiefels gegen den Türrahmen und ging.
* * *
Abends warf ich mir ein paar Klamotten über und fuhr dann mit der U-Bahn zur Uni. Ich stand vor meinem Seminarraum und wollte gerade den Zettel mit der Absage hinkleben.
»Das ist wohl ein Witz.«
Ich drehte mich nicht um. »Lange nicht gesehen, Rob. Was gibt’s denn?«
»Ich bin in deinem Kurs. Schon vergessen?«
»Fällt heute aus.« Ich trat zurück, damit er den Zettel lesen konnte.
Er riss ihn ab. »Oh nein, tut er nicht.«
Ich begann, eine neue Absage auf dem Papier zu schreiben, das ich noch übrig hatte. »Du weißt doch, dass Veda mich gezwungen hat, Urlaub zu nehmen.«
Seine Hände verschwanden in seiner verknitterten Hose. »Hier wird niemand davon erfahren. Ich wette einen Fuffi, dass niemand das Thema zur Sprache bringt.«
Ich klebte den neuen Zettel an die Tür.
Im Gang erschallten Stimmen. Ich entdeckte Gert und Mary, Donna und … Wow. John Strabo. Von allen Menschen brauchten diese nun wirklich am wenigsten einen Kursus in Sachen Trauerbewältigung. »Was läuft hier, Rob?«
»Ich, äh, habe deinen Lehrgang heute zufällig erwähnt. Keiner kann es ertragen, dass du sie nicht mehr bei der Arbeit schikanierst.« Meine Augen brannten. »Ich habe meine Unterlagen gar nicht dabei.«
»Also gut, ich wette einen Hunderter darauf, dass du es gut machst. Oh Mann, ich kann nicht fassen, dass ich das sage.«
»Einen Hunderter, Rob?« Ich riss den Zettel ab. »Die Wette gilt.«
Nervös schob ich mich im Schneidersitz auf das zerkratzte Pult und ließ den Blick über den Raum voller Cops gleiten: interessierte, unbeteiligte, gelangweilte, angesäuerte. Typisch für den ersten Abend meines Polizistenlehrgangs, bei dem es um den Umgang mit Familien von Mordopfern ging.
Ich blickte jedem meiner Freunde in die Augen: Strabo, Donna, Mary und Gert. Alle lächelten sie kurz. Ich hätte fast laut aufgelacht, als Gertie mir zuzwinkerte.
Seit fünf
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