Tödliche Ernte
Stuhl zurück. Die einzige Bewegung kam von ihrem Zeigefinger, mit dem sie über die Tätowierung unter ihrem Auge strich.
Die Minuten dehnten sich, bevor sie tief durchatmete. »Ja. Das überrascht mich nicht. Kranak. Ich vermute, dass er dir einiges von dem erzählt hat, was wir in letzter Zeit so gemacht haben.«
»Hat er.«
»Ich glaube, dass wir falsch liegen, zumindest zum Teil. Anscheinend sind wir auf einen Organhändlerring gestoßen. Oder was auch immer. Aber ich bin der Meinung, dass es sich um zwei verschiedene Fälle handelt. Vielleicht ist an deinen Spekulationen über Körperteile als Trophäen etwas dran.«
Mir wurde ganz schwindelig. Wenn Reen mir glaubte, dann hatte ich eine echte Verbündete gewonnen. Dann würden auch an anderer Stelle bei den Behörden Datenbanken durchsucht, Verhöre durchgeführt und Spuren verfolgt werden.
»Ich habe eine Menge Daten, Reen. Gert hat diese unglaubliche Abfrage gemacht, und alles ist da.« Ich klaubte den Block, die Zeichnungen von Della und Chesa und den Ausdruck zusammen. Hatte ich etwas vergessen?
Sie hielt eine Hand hoch. »Dass ich dir glaube, ist das eine, meine Vorgesetzten zu überzeugen, das andere.«
»Aber …«
Sie schüttelte den Kopf. »Geduld, Tally.«
»Geduld? Die hab ich nicht mehr. Es könnten noch mehr Menschen sterben!«
»Nach allem, was du sagst, ist diese Person nicht auf eine höhere Mordrate aus.«
»Der Schnitter kann bereits letzte Woche wieder jemanden getötet haben!«
Sie schüttelte den Kopf. »Das ist unwahrscheinlich.«
»Kannst du nicht einfach …« Ich schlang die Arme um meine Taille. »Ich weiß auch nicht. Den ganzen Kram an sie übergeben, und nach dem großen Aha-Effekt bist du aus dem Schneider.«
Sie kam um den Schreibtisch herum. »Versuch doch zu verstehen. Wenn wir das Nest ausgeräuchert haben, wird die Agentin, die diese Operation leitet, bemerken, dass die Fälle nicht wirklich miteinander zu tun haben. In diesem Moment wird sie zugänglich sein. Das ist politisch nur klug. Verstehst du?«
»Was, wenn ich direkt zum Staatsanwalt gehe?«
»Aber was hast du wirklich vorzuweisen? Viele Theorien, aber kaum konkrete Beweise.«
»Ich habe neun Namen, Reen.«
»Und mehr auch nicht – nur Namen. Du weißt wenig über die einzelnen Fälle. Ich rechne damit, dass der Staatsanwalt, der voll und ganz hinter unserer Operation steht, dich als sehr lästig ansehen wird.«
Ich versuchte, das Ganze von Reens Standpunkt aus zu sehen. »Dann warte ich auf dich. Und ich bete darum, dass in der Zwischenzeit nicht noch jemand stirbt.«
»Eine kluge Entscheidung.«
Mein Herz krampfte sich erneut zusammen. Ich konnte nichts anderes tun als warten. Endlos warten.
29
Ich wollte Gerts Hilfe in Anspruch nehmen.
Sie riss die Augen auf, als ich ihr vom Schnitter erzählte. »Ja, ja. Alles klar. Niemand hört dir zu, und jetzt willst du, dass die kleine Gert dir beisteht.« Sie machte einen Schmollmund.
»Ich habe dich unterschätzt, Gert. Das tut mir leid.«
Sie spielte mit ihrem Zopf. »Ich muss nachdenken. Überlegen, verstehst du?«
»Die ganze Sache ist ziemlich unheimlich, G. Ich kann verstehen, wenn du nichts damit zu tun haben willst.«
Sie grinste und blies eine gigantische Kaugummiblase. »Wenn’s Action gibt, will ich dabei sein.«
Gütiger Gott. »Action? Ähm, da bin ich nicht sicher.« Ich reichte ihr den Ausdruck der Körperteile. »Wir müssen mehr über diese Frauen herausfinden. Häng dich ans Telefon. Nimm dir die Autopsieberichte noch einmal vor. Check die Treffer auf Webseiten. Solche Sachen.«
Sie nickte. »Ich könnte ein Web-Gästebuch einrichten.«
»So was kannst du?«
Sie strahlte. »Klar doch. Wir kriegen dieses Monster.«
»Das ist kein Monster. Denk dir einen Typen um die Dreißig, Fünfunddreißig. Einen unauffälligen, ja fast schon unsichtbaren Menschen. Aber doch jemand, der gutmütig zu sein scheint. Wenig selbstbewusst. Ernsthaft. Einsam. Ich bezweifle, dass er Gewalt anwendet, um sie anzulocken. Es ist wichtig, dass sie ihn mögen.«
»Wie einen verletzten Welpen.«
Ich lächelte. »Genau. Denen können wir auch nicht widerstehen, stimmt’s? Bei meinem Profil ist auch Sex ein Teil des Ganzen, aber ich bezweifle, ob er in der Lage ist, Geschlechtsverkehr zu haben. Denk nur mal daran, wie manchen unserer Klienten ihr Sexualtrieb abhandenkam, nachdem sie einen Angehörigen durch Mord verloren hatten. Ich glaube, dass der Täter dasselbe durchgemacht hat. Wir kennen diesen
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