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Tödliche Ewigkeit

Tödliche Ewigkeit

Titel: Tödliche Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Marquet
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vielleicht sogar der einzige Orientierungspunkt war, seine letzte Verbindung zur realen Welt jenseits seiner Wahnvorstellungen. Also hatte sie eingewilligt.
    Nur aus diesem Grund, Ann? Seinetwegen, aus reinem Altruismus … Sieh der Wahrheit ins Gesicht!
    Sie biss sich auf die Lippe. Sie, die immer ehrlich gegenüber sich selbst sein wollte, musste sich eingestehen: Natürlich gab es einen anderen, entscheidenderen Grund, der sie bewogen hatte, diesem Mann bei seiner absurden Suche zu helfen.
    Die letzten Wochen, in denen sie von allen im Revier geschnitten wurde, waren unerträglich gewesen. Aber sie hatte die Zähne zusammengebissen und durchgehalten: Keiner von ihnen, weder Millar noch ihr Vater oder Jeff Mulligan würde sie von ihrer Berufung abbringen. Nie. Sie war ein Cop. Sie würde es ihnen zeigen. Dann aber hatte sie erfahren, dass Jeff aus dem Sanatorium geflohen war und damit die letzte Chance vertan hatte, seine Dienstmarke zurückzubekommen. Und zu ihrem eigenen Erstaunen war ihre Entschlossenheit tiefer Verzweiflung gewichen, so als hätte sie keine Lust mehr zu kämpfen. Als hätte sie die Energie, die ihr geholfen hatte durchzuhalten und die täglichen Demütigungen zu ertragen, nur aus einer Hoffnung geschöpft: wieder ein Team mit Jeff Mulligan zu bilden. Jeden Tag in seiner Nähe zu sein.
    Das war der eigentliche Grund, warum sie so schnell eingewilligt hatte, als er sie wie ein geprügelter Hund ansah – ein völlig unerwartetes Verhalten bei diesem Mann, das sie rührte. Vor allem deshalb, weil sie in ihrer Naivität immer auf etwas mehr Feingefühl gehofft hat und unbedingt wieder mit ihm zusammenzuarbeiten will. Selbst bei illegalen und unsinnigen Ermittlungen …
    Ann fährt sich nervös mit der Hand durchs Haar. Sie macht sich Vorwürfe. Warum fühlt sie sich von Männern angezogen, die ein gestörtes Verhältnis zur Legalität haben? Jeff hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Doch er scheint außerstande, den Sinn und Zweck des Gesetzes zu erfassen – er, der es eigentlich vertreten sollte. Ein bitteres Lächeln gleitet über das Gesicht der jungen Frau. Jeff ist im Grunde genau das Gegenteil ihres Vaters. Dieser versteht und interpretiert die Gesetze sehr genau – für ihn ist Gerechtigkeit kein Wert, der über die geniale Auslegung der Paragraphen hinausgeht. Und sie selbst, was denkt sie über das Gesetz und die Gerechtigkeit? Sie schiebt die Frage beiseite.
    Etwas drängt sie zu gehen. Sich keine Gedanken mehr über Mulligan zu machen. Dieser Mann kann ihr nichts Positives geben. Er steht am Rande des Wahnsinns, hat vielleicht sogar die Grenze schon überschritten … Ist ihr als Diplompsychologin denn nicht bewusst, dass sie der zerstörerischen Anziehungskraft eines Mannes zu verfallen droht, der alle Symptome einer paranoiden Psychose aufweist und wahrscheinlich zeitweilig unter Halluzinationen leidet?
    Ein Mann, der sich nur für sie interessiert, weil er ihre Hilfe braucht bei seiner krankhaften und irrsinnigen Suche …
    Ann erhebt sich und nimmt ihre Handtasche. Sie wird nach Hause gehen.
    Jeff Mulligan vergessen.
    Stimmen lassen sie zusammenzucken. Die Tür des Behandlungsraums öffnet sich. Mehrere Personen treten ins Wartezimmer.
    Nervös nimmt Ann wieder Platz.
    Zu spät, um zu verschwinden …
    Ein Mann und eine Frau, zwischen ihnen ein blondes blasses Mädchen mit einem engelsgleichen Lächeln. Der strahlende Blick der Kleinen passt nicht zu der bedrückten Miene ihrer Eltern. Sie ist höchstens sechs oder sieben Jahre alt, doch ihr Benehmen und ihre Haltung zeugen von einer seltsamen alterslosen Weisheit. Spontan geht sie auf Ann zu und streckt ihr die Hand entgegen.
    »Guten Tag. Darf ich dir ein Küsschen geben?«
    Ann geht in die Hocke.
    »Sehr gerne. Und ich dir?«
    »Ja.«
    »Naomi, belästige die Dame nicht«, tadelt ihre Mutter sanft und wischt sich die Augen.
    »Lassen Sie sie doch bitte«, entgegnet Ann. »Sie ist bezaubernd.«
    »Bist du auch eine Mama?«, fragt Naomi.
    »Nein. Aber wenn ich dich sehe, habe ich Lust, eine zu werden!«
    Eine männliche Stimme unterbricht sie:
    »Tut mir sehr leid, dass ich Sie habe warten lassen, Detective.«
    Die Familie verabschiedet sich und geht. Ann steht einem sehr athletischen Mann von etwa vierzig Jahren gegenüber. Er lächelt sie an und bittet sie in sein Sprechzimmer.
    »Nehmen Sie doch bitte Platz. Mir schien, Sie wollten gerade gehen. Entschuldigen Sie bitte. Normalerweise gibt es keine so langen

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