Tödliche Ewigkeit
Menschen lenken, sind größer als er selbst.
Sein Entschluss ist gefasst.
Er wird Nachforschungen über Henry Buchanan anstellen.
WÜSTE VON JUÁREZ, GEHEIMES KRANKENHAUS
Nach Tagen der Qual ließ der Schmerz langsam nach, und Raúl befand sich in einem Zustand totaler Erschöpfung, der zwar weniger peinigend, aber tiefgehender war, eine andere Form des Leidens. In den folgenden beiden Tagen vegetierte er in seinem Bett dahin und fand kaum die Kraft, den lebenswichtigen Sauerstoff einzuatmen. Niemand suchte sein Zimmer auf. Vor lauter Grübeln war sein Kopf völlig leer, und er hatte nicht einmal mehr genügend Energie, um sich zu langweilen.
Dann kam jemand.
Raúl, der kaum die Augen öffnen konnte, erkannte die Stimme von Professor Steve Buchanan.
»Raúl Espejo, ich weiß, welche Qualen Sie durchgemacht haben. Wir bringen Sie zurück ins Camp, und Sie können sich eine Zeitlang erholen. Jetzt sind Sie ein vollwertiger Mitarbeiter unseres großartigen Projekts.«
Raúl war zu schwach, um etwas zu erwidern. Wäre er in der Lage dazu gewesen, hätte er Buchanan mit den bloßen Händen erwürgt.
Später legten ihn zwei bewaffnete Pfleger grob auf eine Bahre und verfrachteten ihn in ein weißes Lieferauto, das zu einem Krankenwagen umfunktioniert worden war. Auf einer Liege neben ihm ruhte ein bewusstloser Mann.
Der Wagen fuhr an.
»Sie können sich eine Zeitlang erholen.«
Also wollte man ihn anschließend in diese Teufelsklinik zurückbringen, um weitere Versuche vorzunehmen.
Nein.
Der Lieferwagen fuhr im Schritttempo an der endlosen Betonmauer entlang, die das Camp von dem Ort der Folter trennte.
Er würde nicht hierher zurückkehren.
In drei oder vier Minuten würden sie das gepanzerte Tor erreichen und das gesicherte Areal verlassen. Raúl begann sein linkes Handgelenk, dessen Fessel etwas lockerer war, hinund herzubewegen, um sich ihrer zu entledigen. Wenn er den Lieferwagen in seine Gewalt bringen konnte und mit etwas Glück dem Geschosshagel von den Wachtürmen entkam, würde er es schaffen, die Sperre am Eingang zu durchbrechen. Andernfalls … Doch er wollte lieber sterben als weiter das Versuchskaninchen spielen.
Nur noch zwei Minuten. Weniger vielleicht. In seiner Spezialausbildung hatte er eines gelernt: Wenn man sich einer Fessel absolut nicht zu entledigen vermochte, gab es nur ein Mittel, um garantiert freizukommen: so viel Fleisch von der gefangenen Gliedmaße abzuwetzen, bis sie Spielraum hatte. Wie besessen scheuerte er sein Handgelenk an dem Riemen. Es kümmerte ihn nicht, dass das Blut in Strömen über seinen Schenkel floss, und seltsamerweise machte ihm auch der heftige Schmerz nichts aus. So gelang es Raúl, sich zu befreien.
Knapp eine Minute, und es war so weit.
Raúl warf einen Blick auf seinen Leidensgenossen neben ihm. Er lag im Koma. Durfte er das Leben dieses Mannes aufs Spiel setzen?
Aber war das Leid, dem die Menschen in dieser Hölle ausgesetzt waren, nicht schlimmer als der Tod?
Der Wagen verlangsamte das Tempo und hielt schließlich an. Offenbar hatten sie das gepanzerte Tor erreicht.
Er durfte nicht zögern.
Auf dem Hinweg hatte es rund dreißig Sekunden gedauert, bis sich die schweren Flügel geöffnet hatten. Sobald sie wieder anfuhren, müsste er handeln. Er konnte nicht warten, bis sie das Camp erreicht hatten, wo es von Wärtern wimmelte. Auf dem Weg zwischen der Betonmauer und der Einfahrt zum Camp musste er eine Strategie finden, um mindestens einen seiner Bewacher herzulocken, zu überwältigen und ihm die Waffe abzunehmen.
Doch es gab ein Hindernis.
Raúl war völlig entkräftet.
Es war sehr anstrengend gewesen, seinen Arm zu befreien. Keuchend rang er nach Luft. Er fühlte sich nicht einmal in der Lage, sich zu erheben.
Doch er wusste, dass seine Schwäche zugleich seine Stärke war. Seine Bewacher kannten seinen Zustand und rechneten daher nicht mit einem Angriff. Seine einzige Chance war der Überraschungseffekt.
Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass Raúl betete.
Um im richtigen Augenblick die Kraft zu finden, die ihm fehlte.
Jeff ging nach Hause. Er hatte keinen Grund, sich zu verstecken. Seine Flucht aus der Anstalt war für seine Dienststelle zwar ein grober Verstoß, der seine letzten Chancen auf Wiedereinstellung zunichtemachte, aber er hatte kein Verbrechen begangen.
Seit seinem Ausbruch hatte er die Mailbox seines Handys nicht mehr abgehört. Mehrere Nachrichten von Ann erwarteten ihn. Seine junge Kollegin fragte
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